Sumatranashorn im Naturkundemuseum London (Foto: M. Miersch)

Wie die Energiewende Wildtiere bedroht und Wälder zerstört

Von Michael Miersch

Grüne Energie? Von wegen! Die Energiewende führt zur heftigsten Naturzerstörung in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges

In einigen Tagen jährt sich die Oktoberrevolution zum 100. Mal. In der offiziellen Sprache der kommunistischen Länder nannte man sie die „Große sozialistische Oktoberrevolution“.  Bei einem Besuch in der DDR sagte mir mal ein Freund: Das ist ein Wort mit vier Lügen.

Erstens: Sie war nicht groß. Trotzkis nächtlichen Putsch bekamen die meisten Einwohner von St. Petersburg gar nicht mit. 

Zweitens: Sie war nicht sozialistisch, zumindest nicht im Sinne, dass sie der Arbeiterklasse Freiheit und Wohlstand brachte. 

Drittens: Sie war keine Revolution, sondern – wie gesagt – eine nächtlicher Putsch bewaffneter Milizen, die strategisch wichtige Gebäude in St. Petersburg besetzten. 

Und viertens: Sie fand nicht im Oktober statt, sondern nach dem Gregorianischen Kalender im November. 

Wenn ich heute „Grüne Energie“ lese, muss ich an diesen alten Witz denken. In Deutschland wird Strom aus Windkraft und Bio-Gasanlagen als „Öko-Strom“, „Bio-Strom“ oder gar „Natur-Strom“ bezeichnet. Worte, die lügen.

Es gibt eine weitere Parallele zum „Roten Oktober. Die Kommunisten versprachen den Arbeitern alles und hielten nichts. Jeder, der nicht ideologisch blind war, konnte sehen, dass es den Arbeitern in den westlichen, kapitalistischen Ländern wesentlich besser ging, als ihren Kollegen im kommunistischen Osteuropa.

Die deutsche Partei Die Grünen wurden 1980 gegründet. Die Grünen versprachen, die Natur zu retten. Sie waren die Anwälte der Wälder, der Vögel, der Flüsse. Doch ihre Politik führte zur heftigsten Naturzerstörung in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Keine Industrie verbraucht so viel Fläche wie die Erzeugung von „Natur-Strom“.

Ohne den Druck der Grünen und der ihnen verbundenen Umweltverbände hätten die Kanzler Kohl, Schröder und Merkel den Ausbau von Windkraft, Bioenergie und Solarstromerzeugung nicht so forciert, wie sie es getan haben. Als Landwirtschaftsministerin verkündete die Grüne Renate Künast einst: „Bauern werden die Ölscheichs von morgen!“ Sie und ihre Partei traten dafür ein, den Anbau von Energiepflanzen massiv zu fördern.  Die Naturzerstörung durch flächenfressende Wind- und Biogas-Industrie ist das Gegenteil dessen, was die Umweltbewegung einst forderte.

Die Kommunisten machten die Arbeiter unfrei und arm. Die Grünen zerstörten die Landschaften und vernichteten Millionen von Vögeln und Fledermäusen.

Bevor ich auf die Situation in Deutschland eingehe, möchte ich einen Blick auf die globalen Folgen der Energiewende werfen. Der Klimawandel führe zu einem Rückgang der Artenvielfalt, können wir immer wieder lesen. Ob das stimmt, ist umstritten. „Weltweit wird wärmeres Klima sicherlich nicht zu einem großen Artensterben führen“, sagt der deutsche Biologe Josef H. Reichholf. „Die wirklich große Gefahr für die Lebensvielfalt ist die fortschreitende Vernichtung der tropischen Regenwälder.“

Zwei bekannte Befunde aus der Natur sprechen gegen die These vom Artensterben durch Klimaerwärmung.

Erstens nimmt die Biodiversität von den Polen zum Äquator hin immer mehr zu. Je wärmer, desto reichhaltiger das Leben. Die geringste Artenvielfalt herrscht an den Polen und in der Kälte der Hochgebirge.

Und zweitens waren die Warmzeiten im Laufe der Erdgeschichte immer die artenreichsten, während in den Eiszeiten die Vielfalt der Tiere und Pflanzen zurückging.

Ich will die Gefahr nicht herunterspielen. Es gibt Hinweise, dass Klimazonen sich schneller verschieben, als sich Arten anpassen können. Es mangelt jedoch an Daten, um das zu belegen. Allerdings ist der Klimawandel mit Sicherheit nicht die Hauptursache für die momentanen Artenverluste. Viel bedeutsamer sind die Umwandlung von Naturgebieten in Agrarland, die Rodung der Tropenwälder, die Überfischung der Meere, die Überdüngung der Böden in den intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten.

Es gibt jedoch eine Folge der globalen Erwärmung, die die Existenz vieler Arten tatsächlich bedroht: Die Förderung von Biotreibstoffen aus Gründen des Klimaschutzes. Weil Treibstoffe aus Raps, Schilfgras, Zuckerrohr oder Ölpalmen beim Verbrennen nur so viel Kohlendioxid freisetzen, wie die Pflanzen vorher gebunden hatten, gelten sie als klimafreundlich. Doch die Fixierung der Umweltpolitik auf das Klima hat dazu geführt, dass die Nebenwirkungen des Anbaus solcher Energie-Pflanzen verdrängt werden. Um die europäische Nachfrage nach Biotreibstoffen zu befriedigen, werden in Indonesien und Malaysia Regenwälder abgebrannt.

Der Eisbär wurde zum Symboltier des Klimawandels.  Erfreulicherweise hat in den vergangenen Jahrzehnten die Zahl der Eisbären in den Nordpolargebieten zugenommen. Heute gibt es laut Schätzungen wieder über 30.000  Eisbären, deutlich mehr als vor einem halben Jahrhundert. Wenn der Eisbär das Symboltier der Klimaerwärmung ist, dann ist das Sumatranashorn das Symboltier falsch verstandenen Klimaschutzes.

Von dieser kleinsten aller fünf Nashornarten existieren nur noch 100 bis 200 Exemplare auf Sumatra, Borneo und der Malaiischen Halbinsel. Die Wälder in denen die letzten Exemplare dieser Nashornart leben, zählen zu den artenreichsten der Erde. In menschlicher Obhut sind Sumatranashörner äußerst heikle Pfleglinge. Versuche, sie in Zoos zu züchten, hatten sehr geringen Erfolg. Die Zeit wird knapp. Denn der Lebensraum der Nashörner verschwindet rapide. Nirgendwo auf der Welt wird Wald so massiv zerstört wie in Südostasien.

Ursache dieser Naturzerstörung ist die starke Nachfrage nach Palmöl. Der Urwald muss weichen, um Ölpalmenplantagen anzupflanzen. Allein Indonesien hat zwischen den Jahren 2000 und 2012 60.000 Quadratkilometer Wald abgeholzt und fast alles in Palmölplantagen umgewandelt. Seit 1990 sind dem Land ein Fünftel der Waldflächen verloren gegangen.

Laut FAO beträgt der jährliche Waldverlust Indonesiens mehr als 5.000 Quadratkilometer. Dadurch setzt das Land jedes Jahr 2,6 Milliarden Tonnen Kohlendioxid frei — mehr als die Emissionen von Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen. Dies macht Indonesien, nach China und den USA, zum weltweit drittgrößten Erzeuger von Treibhausgasen.

1998 verdunkelten dichte Rauchwolken den Himmel über ganz Südostasien. In Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur wickelten sich die Menschen feuchte Tücher um den Mund, um atmen zu können. Die Brandrodung für Palmölplantagen auf Sumatra war außer Kontrolle geraten. In einem Gebiet so groß wie Belgien standen die Wälder in Flammen.

Palmöl ist eine wichtige Ressource für Bio-Diesel, ein Treibstoff der angeblich zur Klimarettung beiträgt. Seit 2009 wird in Deutschland dem herkömmlichen Diesel bis zu 7 Prozent Biodiesel beigemischt. Dieselkraftstoff B7 ist heute Standardkraftstoff für Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor. Und auch in der EU sind über 99 Prozent des vermarkteten Dieselkraftstoffes B7.

Wie werden wohl unsere Enkel diesen Beitrag zur Klimarettung beurteilen?

Die Biodiesel-Wirtschaft verteidigt sich mit dem Argument, der Großteil des Palmöls werde nicht für ihre Raffinerien geerntet. Das ist richtig: Palmöl ist seit Langem einer der wichtigsten Rohstoffe für die Lebensmittel- und Haushaltsmittelindustrie. Jedes zweite Produkt im Supermarkt, schätzt der WWF, enthält das Öl aus den Tropen. Darunter Fertigsuppen, Tiefkühlpizza, Pralinen, Frittierfett, Margarine, Kakaoglasuren, Eiskonfekt, Lippenstifte, Seifen, Shampoos, Cremes und Waschpulver.

Doch die zusätzliche Nachfrage nach Bio-Diesel hat das Tempo der Rodungen erheblich beschleunigt. Der Naturschutzbund Deutschland hat 2016 gemeinsam mit der Umweltorganisation „Transport and Environment“ (T&E) eine Studie erstellt. Demnach hat sich die Menge an Palmöl, die in der EU für die Beimischung von Biokraftstoffen verwendet wird, in den Jahren 2010 bis 2014 versiebenfacht – von 456.000 Tonnen auf 3,2 Millionen Tonnen.

45 Prozent der in der EU genutzten Gesamtmenge an Palmöl wandert demnach in den Tank. Vor sechs Jahren waren es laut der Studie gerade mal acht Prozent. Währenddessen sei der Anteil, der für Nahrungsmittel, Tierfutter und Industrieprodukte verwendet wurde, jeweils gesunken. Das EU-Parlament hat im April 2017 eine Resolution beschlossen, um den Import von Palmöl in die EU einzuschränken. In der EU verkaufter Biokraftstoff soll ab 2020 kein Palmöl mehr enthalten sein, dessen Herstellung Entwaldung verursacht.

Wie gut diese Bedingung in Indonesien und Malaysia kontrolliert werden kann, ist umstritten. Tag für Tag werden dort weiterhin Tausende junger Palmen gepflanzt – und nicht selten wurde dafür zuvor Urwald gerodet. Manche der Plantagen erstrecken sich über mehrere Täler und sind so groß wie deutsche Bundesländer.

Dass Ölpalmenanbau für Bio-Diesel problematisch ist, hat sich herumgesprochen. Weniger bekannt sind die Wirkungen, die manche Solarkraftwerke auf die Vogelwelt haben. In der kalifornischen Wüste steht seit 2014 ein Solarkraftwerk der Firma Bright Source Energy mit 300.000 Spiegeln, jeder so groß wie ein Garagentor. Bis  zu 28.000 Vögel pro Jahr sterben nach Angaben von Umweltschützern jedes Jahr durch dieses Kraftwerk. Sie werden über den gleißenden Spiegeln regelrecht gegrillt. Vermutlich halten manche Vögel die glänzende Fläche für einen See.

Nach diesem kleinen Ausflug nach Asien und Amerika komme ich zur Situation in Deutschland. Auch in Deutschland gibt es Solarkraftwerke mit erheblichen Ausmaßen. In den „Haßbergen“, einer Mittelgebirgsregion in Franken steht ein Solarkraftwerk, das 48 Hektar Fläche mit metallisch glänzenden Paneelen bedeckt. Der Kreisverband der Grünen hatte ein Problem damit, weil das Solarkraftwerk mitten in einem Naturpark liegt. Doch die Politiker der Grünen stimmten dem Bau zu, weil die Rettung des Weltklimas wichtiger sei als die Zerstörung der regionalen Natur. Wesentlich stärker als von Solarkraftwerken wird die Landschaft in Deutschland jedoch von der Windindustrie in Anspruch genommen.

Und nicht nur die Landschaft, auch die Tierwelt. Anders als Indonesien oder Malaysia ist Deutschland kein Land mit vielen endemischen Arten. Die Ausrottung einer Art in Deutschland bedeutet somit zumeist nicht, dass sie von der Erde verschwinden.

Das ist die gute Nachricht. Doch es gibt Ausnahmen: Die bekannteste  ist der Rotmilan.

Mehr als die Hälfte es Weltbestandes nistet in Deutschland, etwa 15.000 Brutpaare. „Für den Rotmilan sieht es nicht gut aus,“ sagt der Biologe Oliver Krüger, einer der führenden Ornithologen Deutschlands. „Und gerade für den Rotmilan tragen wir eine besondere Verantwortung.“ Professor Krüger führte für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die sogenannte PROGRESS-Studie durch, die bisher umfangreichste Forschung zum Konflikt zwischen Windwirtschaft und Vogelwelt.

Leider wurden die Ergebnisse in aller Stille im Internet veröffentlicht, ohne Pressekonferenz oder Ministerwort. Der Startschuss für den Sinkflug des Rotmilans fiel am 1. Januar 1991 und wurde von dem CDU-Umweltminister Klaus Töpfer abgegeben. Damals trat das Energieeinspeisungsgesetz in Kraft, der Vorläufer des späteren Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Wer in Windkraft- oder Biogasanlagen investierte, bekam für seinen Strom eine staatliche Abnahmegarantie für 20 Jahre zu hoch subventionierten Preisen.

Erst langsam, dann unübersehbar und immer rasanter begann damit die größte Landschaftsveränderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Zirka 28.000 Windkraftanlagen prägen heutzutage das Gesicht Deutschlands: von der Nordsee bis zu den Alpen, vom Schwarzwald bis Berlin. Weil Investoren und Politiker langwierige Prozesse mit Anwohnern scheuen, planen sie ihre Großprojekte immer häufiger in Wäldern. „Wir werden“, so der grüne baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller, „Windparks in Waldgebieten fern von Wohnbebauung errichten.“

Mittlerweile wurden 1.200 Anlagen in Wäldern errichtet. Moderne Typen, wie die „Enercon E126“, sind 200 Meter hoch und haben einen Rotordurchmesser von 127 Metern. Um einen dieser Türme aufzustellen, müssen mehr als 5.000 Quadratmeter Wald gerodet werden. Würden Investoren anderer Industrien derart heftig in Naturgebiete oder abgelegene Wälder eingreifen, wäre dies ein politischer Skandal. Inzwischen treten jedoch immer mehr Politiker aller Parteien dafür ein, das Naturschutzrecht aufzuweichen, um noch im letzten beschaulichen Winkel Deutschlands Wind- oder Solarkraftwerke aufstellen zu können.

Windkraftwerke haben einen enormen Flächenbedarf. Um beispielsweise das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg durch Windkraft zu ersetzen müsste die gesamte Fläche des Stadtstaates mit Rotormasten zugebaut werden. Noch viel mehr Fläche beansprucht der Mais, der für die Biogasanlagen angebaut wird. Maismonokulturen auf 2,5 Millionen Hektar prägen in vielen deutschen Regionen die Landschaft. Eine Fläche so groß wie Sizilien. „In den vergangenen 30 Jahren hat es eine Versiebundzwanzigfachung der Maisanbauflächen gegeben“, sagt Torsten Reinwald vom Deutschen Jagdverband.

Das Einheitsgrün wird nicht allein für die Biogaserzeugung angepflanzt, auch viel Futtermais ist darunter. Doch allein die deutsche Energiepflanzenerzeugung frisst 1,5 Millionen Hektar Fläche. Weder Hase noch Feldhamster, weder Schmetterlinge noch Wildbienen können in der Maisödnis leben. Keine Lerche singt mehr und kein Kiebitz ruft. Grauammer, Wachtel und Schafstelze verschwinden. Rebhühner waren einst die typischen Bewohner der Feldflur, die man auf Spaziergängen häufig sah. Ihre Bestände sanken seit den 80er-Jahren um 94 Prozent. Bei anderen typischen Vogelarten der Agrarlandschaft liegen Rückgänge der vergangenen 20 Jahre zwischen 20 und 50 Prozent.

„Insgesamt muss man das bittere Fazit ziehen, dass Auswirkungen des Klimawandels selbst auf die biologische Vielfalt bisher wenig nachweisbar, die Auswirkungen der Klima-und Energiepolitik dagegen dramatisch sind“, sagt Martin Flade, Ornithologe und Herausgeber der Zeitschrift „Die Vogelwelt“. „Das Hauptproblem im Natur- und Artenschutz“, so Flade, „liegt in der Intensität der Landwirtschaft“. Während es früher mehr Brachflächen als Maisfelder gab, habe sich das Verhältnis umgekehrt. „Das wirkt sich unmittelbar auf den Bestand von Brutvögeln aus“, sagt Flade. Mittlerweile liege das Verhältnis von Brache zu Mais bei eins zu 20.

2013 erhielt Martin Flade für seine Arbeit den Preis der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft. In der Begründung hieß es: „In der Folge des unüberlegten und übereilten Ausbaus erneuerbarer Energien aus landwirtschaftlicher Biomasse und Windkraft hätten die Bestände von fast 50 Prozent aller Vogelarten deutlich abgenommen.“ Aber nicht nur die Vögel sind betroffen, auch die Fische. In den etwa 9.000 deutschen Biogasanlagen kommt es zu über 40 schweren Pannen im Jahr. In einigen Fällen wurden durch ausfließendes Gärsubstrat Bachläufe kilometerweit verseucht. Massensterben von Forellen und anderen Süßwasserfischen waren die Folge. Ganze Populationen wurden ausgelöscht. Ein Register für solche Störfälle gibt es nicht.

Obendrein ist fraglich, ob der Anbau von Energiepflanzen überhaupt einen Nutzen für das Klima bringt. Der Biologe Josef Reichholf  stellt fest,  dass  der Aufwand an Energie sei viel größer als der Ertrag ist. Nur durch die massive Düngung der Maiskulturen mit Gülle kann binnen weniger Monate aus einem Korn eine drei Meter hohe Pflanze emporwachsen.

In der Bilanz zur Verstromung von Biomasse wird dieser Dünger nicht berücksichtig. Auch die Regenwaldrodung in Südamerika spielt in der Bilanz keine Rolle. Aus Südamerika kommt das Soja-Futter für die Stalltiere, die die Gülle für den Mais liefern. Anders als eine Ölpest oder eine Chemiefabrikunfall passiert die  Ausdehnung des Maisanbaus und der Windindustrie auf der Fläche nicht plötzlich, sondern sich zieht sich über Jahre hin. Daher wird dieses ökologische Desaster von vielen Menschen nicht wahrgenommen.

Die Auswirkungen sind jedoch viel heftiger, als solche punktuellen Umweltkatastrophen, denn der Wandel findet fast überall und auf breiter Fläche statt. Zwei Prozent ihrer Landesflächen wollen die meisten deutschen Bundesländer für die Windkraft reservieren. Das klingt wenig, doch es gibt nur die von den Rotoren überstrichene Fläche wieder, der wahre Einwirkungsbereich auf die Vogelwelt ist um ein Vielfaches größer.

Sechs Kilometer soll der Abstand zu einem Schreiadlernest nach Ansicht der staatlichen Vogelschutzwarten betragen. Damit dürfte im gesamten Vorpommern kein einziges Windkraftwerk mehr aufgestellt werden, obwohl doch nur zwei Prozent der Landesfläche überstrichen werden. „Zwei Prozent der Fläche können 100 Prozent unserer Landschaften zerstören“, sagt Harry Neumann, Vorsitzender der Naturschutzinitiative.

Im Auftrag der „Deutschen Wildtier Stiftung“ (für die der Autor dieses Artikels arbeitetet) verfasste Klaus Richarz die Studie „Windenergie im Lebensraum Wald“. Richarz leitete 22 Jahre lang die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen Rheinland-Pfalz und Saarland.  Seine Studie belegt die Dringlichkeit des Problems.

Allein 12.000 Greifvögel fallen den Windkraftanlagen alljährlich zum Opfer. Mit einer Geschwindigkeit von 300 km/h rotieren die Spitzen der Rotorblätter, ihr Radius ist dabei so groß wie ein Fußballfeld. Gegen diese riesigen Propellerwände haben Rotmilane und andere Vögel keine Chance. Für die Gesamtzahl aller Vögel, die der Windindustrie zum Opfer fallen gibt es eine Schätzung des Ornithologen Hermann Hötker vom Michael-Otto-Institut im Naturschutzbund Deutschland. Er rechnet, dass bei ein bis fünf Vögel pro Anlage und Jahr getötet werden, folglich insgesamt zwischen 28.000 und 140.000.

Große Vögel, wie Störche, Greifvögel und Enten, werden besonders häufig von den Rotoren erwischt. „Greifvögel“, sagt Professor Oliver Krüger, „sind relativ selten, brauchen große Flächen, aber sie kollidieren überproportional häufig. Das ist eindeutig.“ Genaue Zahlen sind kaum zu ermitteln, da Ratten, Marder, Füchse, Wildschweine und andere Aasfresser die Kadaver nachts beseitigen.

Das sei nicht viel, sagt die Windkraft-Lobby, im Vergleich zu Millionen Vögeln, die mit Fensterscheiben, fahrenden Autos, Strommasten und anderen Hindernissen kollidieren. Doch darin liegt ein Trugschluss. Denn es kommt darauf an, welche Arten betroffen sind. Ob zehn Stadttauben gegen Scheiben oder Autos fliegen, hat keine Auswirkung auf die Population der Tauben. Doch wenn ein brütendes Rotmilanweibchen von einem Rotorblatt erschlagen wird, ist dies ein spürbarer Verlust für die Art in dieser Region. Wenn von einem Windpropeller nur alle acht Jahre ein Rotmilan erwischt wird, sind dies bei der jetzigen Zahl von 28.000 Anlagen 3.500 Vögel weniger. Bei einer Gesamtpopulation von nur 15.000 Brutpaaren in Deutschland ein relevanter Verlust.

Nach einer Studie im Auftrag des brandenburgischen Landesamtes für Umwelt aus dem Jahr 2013 erschlugen Rotorflügel allein in diesem Bundesland etwa 300 Rotmilane jährlich. Wenn nach dem Klimaschutzplan der Bundesregierung die Anzahl der Windmasten verdoppelt wird, könnte der Rotmilan bald ausgerottet sein. Denn das würde bedeuten, dass durchschnittlich alle 2,7 Kilometer eine 200 Meter hohe Windenergieanlage aufgestellt wird, quer durch das Land ohne Rücksicht auf Landschaft, Seen, Berge, Wälder, Städte.

Die PROGRESS-Studie ergab, dass sogar der häufige Mäusebussard bei weiterem Ausbau der Windenergie bedroht wäre. Vögel, die nicht den Rotoren zum Opfer fallen, werden von den Windkraftanlagen vertrieben. Einer dieser Windkraftflüchtlinge ist der scheue Schwarzstorch. Als in der hessischen Vogelsbergregion 170 Windkraftanlagen errichtet wurden, verschwanden neun von vierzehn Schwarzstorchpaaren.

Völlig unzutreffend ist der Einwand, auch Fensterscheiben und andere Hindernisse würden Opfer kosten, wenn es um Fledermäuse geht. Durch ihre Ultraschallortung kollidieren die fliegenden Säugetiere fast nie mit solchen Barrieren. Sie schaffen es sogar durch die sich drehenden Rotoren zu fliegen. Dennoch fallen sie tot vom Himmel. Ursache ist ein Barotrauma: Ihre Lungen platzen durch den Druckabfall hinter den Rotoren. Dies widerfährt zirka 240.000 Fledermäusen pro Jahr. Die Dunkelziffer ist vermutlich wesentlich höher, weil die Tiere meist noch ein wenig weiter flattern und dann irgendwo im Wald verenden, wo ihre kleinen Kadaver bald aufgefressen werden.

Bei Bauvorhaben wie Autobahnen, Flughäfen, Gewerbeparks, Wohnhäusern oder Brücken löste das Vorhandensein einer Fledermauskolonie in Deutschland jahrelangen juristischen Streit aus oder verhinderte sogar das ganze Projekt. Der Massentod dieser Tiere durch die Windindustrie rief bisher noch keine vergleichbare Empörung hervor. Tote Fledermäuse und andere ökologische Kollateralschäden schieben die Anhänger der Energiewende mit der Begründung beiseite, eine globale Klimakatastrophe müsse verhindert werden.

Die ehemalige grüne rheinland-pfälzische Ministerin Evelin Lemke begründete die Zerstörung eines Waldes durch Windkraftanlagen mit den Worten: „Ohne das Klima zu schützen wird es keine Artenvielfalt mehr geben.“ Die Rettung der Welt scheint wichtiger als die Natur vor unserer Haustür. Mittels Windkraft, Solaranlagen und Biogas soll Deutschland seine Kohlendioxidemissionen senken und dadurch die Globale Erwärmung bremsen. Doch bisher hat sich dies als Wunschdenken erwiesen. Denn trotz des rasanten Ausbaus und fast 30 Milliarden ausgeschütteter EEG-Vergütung pro Jahr hat die alternative Stromerzeugung in Deutschland bisher keine Senkung des CO2-Ausstoßes erbracht.

Im Gegenteil: Er stieg sogar leicht an, weil abgasfreie Atomkraftwerke abgeschaltet wurden. Immer wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, müssen in Reserve befindliche Kohlekraftwerke hochgefahren werden, damit es nicht zum Blackout kommt. Je fragwürdiger die Energiewende wird, desto mehr naturliebende Menschen engagieren sich gegen Landschaftszerstörung und Vogeltod. Es gibt bereits 1.000 Bürgerinitiativen gegen Windkraft.

Nicht allen geht es um Vogelschutz. Manche fürchten in erster Linie den Wertverlust ihrer Häuser, wenn sie von Rotoren umstellt werden. Doch viele wollen auch die Zerstörung von Kulturlandschaften nicht mehr hinnehmen. Je stärker der Widerstand wächst, desto brutaler sind die Methoden der Windkraftinvestoren. Immer häufiger werden gezielt Bäume gefällt, auf denen gesetzlich geschützte Vögel wie Rotmilan oder Schreiadler nisten. Denn in der Nähe solcher Brutplätze dürfen keine neuen Anlagen errichtet werden.

Wer Regionalzeitungen durchblättert, findet zahlreiche Fälle solcher Zerstörungen über die ganze Republik verteilt. Der Deutschen Wildtier Stiftung wurden innerhalb nur eines Jahres 80 solcher Fälle gemeldet. Es geht dabei um viel Geld. Die Pacht für eine Windkraftanlage, die ja über die Stromrechnung aller Bürger bezahlt wird, beträgt mittlerweile bis zu 80.000 Euro. Jährlich, 20 Jahre lang. Hat man also eine Fläche für ein Windfeld von zehn Anlagen anzubieten, lockt ein Ertrag von 16 Millionen Euro für den Grundeigentümer. Das weckt auch kriminelle Energie.

Daher fordert die Deutsche Wildtier Stiftung von der Politik, dass in Plangebieten, in denen ein Horst zerstört worden ist, zehn Jahre keine Windkraftanlage mehr gebaut werden darf. Eine solche Regelung hat in Sizilien gut gewirkt. Dort hat die Mafia aufgehört, Wälder anzuzünden, nachdem eine zehnjährige Landnutzungssperre nach Waldbränden gesetzlich eingeführt wurde.

Den Ausbau alternativer Energien umgibt ein Nimbus von Dringlichkeit. Angesichts der schlimmen Prognosen zur Klimaerwärmung, wirkt ein Hinweis auf die ökologischen Folgen von Windkraftwerken und Biogasanalgen für viele Menschen kleinlich und zweitrangig. Als wollte man ein rettendes Feuerwehrauto anhalten, um wandernde Kröten zu behüten. Bei keiner anderen Technik akzeptieren die Deutschen Naturzerstörung wie bei der Windkraft. Würden man tote Seeadler und Rotmilane neben Chemiefabriken oder Atomkraftwerken finden, wäre die Reaktion der Öffentlichkeit vermutlich äußerst heftig.

Am Beginn der Umweltschutzbewegung stand 1962 ein Buch, in dem es viel um Greifvögel ging: „Der stumme Frühling“, verfasst von der amerikanischen Biologin Rachel Carson. Sie deckte auf, dass der übermäßige Gebrauch bestimmter Pestizide den Weißkopfseeadler, Wappenvogel Amerikas, an den Rand des Aussterbens gebracht hatte. Im heutigen Deutschland wird der Rotmilan von einer Industrie vernichtet, die mit der Rettung des Weltklimas für ihre Interessen wirbt.

Der Artikel basiert auf einer Rede, die ich am 24.10.2017 auf Einladung der Global Warming Policy Foundation im Oberhaus des britischen Parlaments gehalten habe. Er wurde von salonkolumnisten.com übernommen und erschien in gekürzter Version in DIE WELT.