Wer ins Café Europa will, sollte wissen, wie man sich dort benimmt (Foto: M. Miersch)

Das Dumpfbackengesetz

Von Michael Miersch

Wenn man bei Flüchtlingen und Einwanderern Rassismus, Antisemitismus und Sexismus toleriert, zahlen den Preis dafür nicht die supertoleranten Bio-Deutschen. Opfer solcher Doppelstandards sind die schwächsten Mitglieder der zugewanderten Minderheiten selbst

Wir leben in verwirrenden Zeiten. Bereits in en 80er-Jahren prägte Jürgen Habermas den Begriff „neue Unübersichtlichkeit“ und seither ist der politische Irrgarten nicht überschaubarer geworden. Doch in unseren Köpfen existieren nach wie vor alte Schubladen. Wir erwarten bestimmte Gesinnungen von Menschen mit bestimmten Kennzeichen.

Wo würden Sie beispielsweise jemanden einordnen, der sagt Afrikaner seien Affen, anständige Frauen unterwerfen sich dem Manne und Homosexualität sei des Teufels? Wer so redet, ist vermutlich Pegida-Anhänger oder vielleicht sogar ein richtiger Nazi und wählt mindestens AfD.

Die genannten Überzeugungen stammen jedoch von Flüchtlingen, die in Deutschland Schutz suchen. Zusätzlich beteuerten die Befragten, wies sehr sie Juden hassen, plädierten für Ehen mit minderjährigen Mädchen und waren sich sicher, dass Frauen, die sich in der Öffentlichkeit nicht ordentlich verhüllen, allesamt Prostituierte seien. Frei von kritischer Selbstreflektion breiteten die muslimischen Asylbewerber ihr Weltbild vor deutschen Journalisten aus, die dies dankenswerterweise veröffentlichten und nicht dem gut gemeinten Impuls nachgaben, man müsse solche Hässlichkeiten bemänteln, um nicht fremdenfeindlichen Kräften in die Hände zu spielen.

Nach ein paarmal Durchatmen beruhigt man sich mit dem Gedanken, dass ja nicht alle so sind. Und das stimmt ja auch. So wenig wie alle Sachsen Ausländer hassen, sind alle Muslime Antisemiten, Frauenverächter und Rassisten.

Wer ein bisschen in der Welt rumgekommen ist, lernt mit der Zeit das allgemein gültige Dumpfbackengesetz. Egal in welchem Kulturkreis man sich bewegt, die allermeisten Menschen wollen ihren Mitmenschen nichts Böses. Anständige und Freundliche bilden überall die Mehrheit. Und der Prozentsatz an Dumpfbacken und Hasskappen ist – egal wo man hinkommt – ungefähr gleich hoch. Nach meiner Erfahrung liegt er bei etwa einem Fünftel der Bevölkerung. Doch dieses Fünftel kann den anderen vier Fünfteln das Leben ganz schön vermiesen und furchtbares Unheil anrichten.

In Deutschland sind manche Leute nach anfänglicher Willkommenseuphorie nun bitter enttäuscht darüber, dass auch unter den Schutz suchenden Neuankömmlingen finstere Gestalten sind, mit Ansichten und Überzeugungen wie aus dem NPD-Programm. Doch wo steht geschrieben, dass Verfolgung und Not Menschen besser oder klüger machen?

Manche, die sich weltoffen und fortschrittliche vorkommen, blenden das Dumpfbacken-Problem bei Flüchtlingen und Einwanderern aus, indem sie mit zweierlei Maß messen. Gedankengut, welches sie bei Bio-Deutschen zu Recht anprangern, kehren sie bei Migranten als lässliche Entgleisung unter den Orientteppich.

Politiker, die es ablehnen mit AfD-Vertretern zu reden, treffen sich ungeniert mit Funktionären der staatlich türkischen Islam-Organisation DITIB, die unter anderem Anleitungen zum koran-gerechten Schlagen von Frauen herausgibt und gegen Juden hetzt.

Während Kölner Musiker, Künstler und Schauspieler oft und gern zu Protesten gegen fremdenfeindliche Versammlungen aufrufen, schweigen sie, wenn in einem Bürgerzentrum ihrer Stadt palästinensische Aktivisten den Terror gegen Israel feiern.

Fragt man warum, heißt es zumeist, man zeige damit Respekt vor anderen Kulturen. Aber ist das Respekt, wenn man anderen nicht zutraut Kritik zu ertragen? Oder zeigt sich darin eine kolonial-paternalistische Haltung nach dem Motto: Diesen Unzivilisierten darf man ihre Vorurteile nicht so übelnehmen, die können halt nicht anders. Wenn jemand ungebildet ist und aus einem traditionsverhafteten, hinterwäldlerischen Dorf stammt, mag dies als mildernder Umstand gelten. Eine Entschuldigung für Menschenhass ist es nicht. Die Faktoren Provinzialität und Bildungsferne treffen übrigens auch auf viele deutsche Rassisten zu. Die dadurch ja auch nicht entschuldigt sind.

Es darf kein europäisches Privileg sein, kritisiert zu werden. Ein homophober Afrikaner verdient ebenso deutlichen Widerspruch, wie ein arabischer Antisemit oder eine Russin, die alle Muslime zu Terroristen erklärt. Gleichbehandlung bedeutet auch für das eigene Handeln und die eigene Meinung verantwortlich zu sein.

Selbstverständlich benötigen Verfolgte und in Not geratene Menschen Schutz und Unterstützung. Das muss aber keinesfalls Verständnis für ihre Ressentiments einschließen. Damit hilft man ihnen nicht, sondern fördert die Weiterverbreitung von Hass und Gewalt.

Das Problem dabei sind weniger die Flüchtlinge selbst, die in vielen Fällen durchaus durch Argumente und Geduld zum Nachdenken gebracht werden können. Vielmehr die vermeintlich Verständnisvollen, die ihnen keine Veränderung zutrauen.

Wenn man religiös-faschistisches Gedankengut bei Flüchtlingen und Einwanderern durchgehen lässt, zahlen den Preis dafür nicht die supertoleranten Bio-Deutschen. Opfer solcher Doppelstandards sind die schwächsten Mitglieder der Minderheiten selbst, Frauen und Mädchen, die sich nicht frei bewegen dürfen, Homosexuelle, die Angst haben, Agnostiker, die Frömmigkeit heucheln müssen.

Die Bundeskanzlerin hat zum Thema falsche Toleranz mal einen wunderbar pragmatischen Satz gesagt: „Wenn jemand von einer Frau kein Essen bekommen möchte, dann gibt es eben gar kein Essen.“

Zuerst erschienen im Magazin „liberal“ (Nr. 3/2016)