Fromme Orte zwischen Nordsee und Alpen ©M.Miersch

Das Fest der fliegenden Toten

Von Michael Miersch

Die Kirchengemeinden schrumpfen. Der Sinn einiger christlicher Feste ist vielen Deutschen nicht mehr bekannt. Warum also nicht ein paar christliche Feiertage austauschen gegen solche, die daran erinnern, was in diesem Land für alle wertvoll und wichtig ist.

Wer im Saarland oder in katholischen Gebieten Bayerns wohnt, hatte im August einen Feiertag weniger als sonst: Mariä Himmelfahrt fiel 2021 auf einen Sonntag. An diesem regional gesetzlichen Feiertag wird Jahr für Jahr daran erinnert, dass der Leichnam der Gottesmutter begleitet von Engeln in den Himmel flog.

Wir leben im 21. Jahrhundert. Deutschland hat 83 Millionen Einwohner, 22,2 Millionen davon sind Mitglieder der katholischen Kirche. Wie viele davon daran glauben, dass Leichen fliegen können, ist nicht bekannt.

Je nach Bundesland gibt es zehn bis zwölf gesetzliche Feiertage. Manche davon sind Spezialitäten der katholischen oder evangelischen Kirche. Die meisten werden von beiden Konfessionen begangen. Regional kommen noch weitere christliche Feiertage hinzu, wie etwa Mariä Himmelfahrt.

Drei säkulare Feiertage, Neujahr, Tag der Arbeit und Tag der Deutschen Einheit finden bundesweit statt. Einige Bundesländer und Städte leisten sich zusätzlich noch einen eigenen, beispielsweise den Internationalen Frauentag in Berlin.

Etwa ein Drittel der Deutschen sind entweder nicht religiös oder gehören einer nicht-christlichen Religion an. Auch sie freuen sich über freie Tage. Aber müssen das Fronleichnam oder Allerheiligen sein, von denen selbst viele Christen nicht wissen, was da eigentlich gefeiert wird? Wäre es nicht sinnvoller etwas zu würdigen, was alle angeht?

Über ein Viertel der in Deutschland lebenden Menschen ist entweder selbst zugewandert oder ist das Kind von Migranten. Ein Teil davon weiß wenig bis nichts von Deutschland. Sozialarbeiter, Polizistinnen, Wissenschaftler, Politikerinnen und Journalisten beklagen diesen Missstand seit Jahrzehnten. Warum also nicht ein paar christliche Feiertage austauschen gegen solche, die daran erinnern, was in diesem Deutschland wertvoll und wichtig ist.

Die Amerikaner feiern den Martin Luther King Day und ihren Unabhängigkeitstag. Sie haben mit Weihnachten nur einen einzigen christliche Feiertag. Den Franzosen sind der Sturm auf die Bastille und das Ende des Ersten Weltkriegs Feiertage wert. Den Russen der Sieg im Zweiten.

Auch die deutsche Geschichte hätte Einiges zu bieten, was für alle die hier leben bedeutsam ist. Wie wäre es mit dem Tag des Grundgesetzes? Oder dem Tag der ersten freien Wahlen für Männer und Frauen in Deutschland (19. Januar 1919)? Oder – warum nicht? – dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus? Möglichkeiten gäbe es genug. Viele Migranten würden diese Tage sicherlich gern mitfeiern, besonders die, die aus Diktaturen geflohen sind. Und die nicht-christliche Bevölkerung könnte sich über mehr freuen als einen arbeitsfreien Tag.

Niemand wird fordern, dass Weihnachten, Karfreitag oder Ostern abgeschafft werden. Diese Tage zollen der immer noch christlichen Mehrheit Respekt und sind für alle anderen folkloristische Bräuche. Aber müssen es so viele Christenfeste sein? Und so wenigen für alle?

Sogar die Bedeutung von Pfingsten, ist einem Großteil der Deutschen nicht mehr bekannt. Immerhin das dritte christliche Hauptfest nach Weihnachten und Ostern.

Eine Emnid-Umfrage ergab bereits 2009: Nur noch die Hälfte der Bevölkerung weiß ungefähr, was zu Pfingsten gefeiert wird. Unter den Jüngeren war es nur jeder Dritte. Was würde wohl herauskommen, wenn die Demoskopen nach Fronleichnam fragten? Der Reformationstag hat sich in das komplett sinnentleerte Halloween verwandelt.

Vermutlich würden die Kirchenvertreter laut aufschreien, wenn ein Repräsentant des Staates forderte, christliche Feiertage gegen säkulare auszutauschen. Seltsam jedoch, dass es scheinbar niemanden gibt, der sich traut, es wenigstens einmal zu versuchen. Mit diesem Vorschlag könnte sogar der blasse Frank-Walter Steinmeier Profil gewinnen.