Untergangspropheten und Energiewende-Lobbyisten beherrschen seit Jahrzehnten Publizistik und Politik in Sachen Klima. Fakten, die nicht zu den schlimmstmöglichen Szenarien passen, dringen fast nie an die Öffentlichkeit. Axel Bojanowski versucht dennoch das zu tun, was Journalisten tun sollten: Sachlich über eine Wissenschaft berichten, die wie kaum eine andere politisiert und emotionalisiert wurde. Sein neues Buch ist ein Lichtstrahl der Aufklärung durch den Rauch der Apokalyptik
Die prominente Journalistin Carolin Emcke rief kürzlich dazu auf, „diesen Kram“ nicht zu lesen. Mit „Kram“ waren alle Publikationen gemeint, die den drohenden Weltuntergang anzweifeln. Der Saal, mehrheitlich besetzt mit deutschen Tech-Hipstern, applaudierte diesem Selbstzensuraufruf. Axel Bojanowskis neues Buch war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschienen, doch es enthält genau das, was man gemäß Emcke keinesfalls lesen darf.
Der befremdliche Zensur-Furor kommt nicht von ungefähr. Das Milieu der Klima-Apokalyptiker wird momentan von Panik erfasst. Nicht der Panik vor Erderhitzung, sondern der vor Machtverlust. Die Europawahlen zeigten, es gibt Grenzen für die erfolgsverwöhnten grünen Parteien. Ein Grund für die herben Verluste in Deutschland ist der Umstand, dass Klimapolitik erstmals für einen Großteil der Bevölkerung spürbar wurde. In den Jahren davor war Klima eine wohlfeiles Smalltalk-Thema. Man beteuerte seine Sorge, versicherte sich gegenseitig, dass endlich etwas geschehen müsse, schickte die Töchter zum Demonstrieren und glaubte, mit kostenlosen Betroffenheitsbekundungen davon kommen zu können. Den Weg zur Energiewende beschritt zwar schon die Regierung Kohl. Doch erst mit den Gesetzen der Ampel-Koalition wurde vielen bewusst, wie teuer eine radikale Reduktion aller Kohlendioxid-Emissionen wird.
Als 2019 Gymnasiastinnen und „Omas for Future“ durch die Straßen und in die Talkshows stürmten und Journalisten immer extremere Maßnahmen forderten, um die Welt vom Kohlendioxid (CO2) zu erlösen, wurden jegliche Zweifel am Untergang weggewischt. Ohne diese Angst würde die Energiewende vermutlich nicht so rabiat durchgezogen. Wenn sie diese Panikstimmung nicht aufrechterhalten können, bekommen die Grünen ein Problem. Denn, nachdem Deutschland alle Atomkraftwerke abgeschaltet hat, ist die Klima-Angst der einzig verbleibende Kern grüner Politik. Würden ihre Untergangsprognosen auch nur ein wenig relativiert, ginge es den Grünen wie einem Rassisten, der plötzlich bemerkt, dass Andersfarbige auch nur Menschen sind. Die konstituierende Ideologie käme abhanden.
Vor diesem Hintergrund kommt Axel Bojanowskis Buch zur richtigen Zeit. Es trägt den Titel „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“, und ermöglicht es jeder Leserin und jedem Leser, sich ein Bild über den Stand der Forschung zu machen. Kein zweiter deutscher Journalist ist so tief in das Thema eingedrungen, hat mit so vielen Forschern aus aller Welt gesprochen, den ermüdenden internationalen Konferenzen beigewohnt und unermüdlich die Fachliteratur studiert. Bereits in seinem Studium der Geowissenschaften spezialisierte sich Bojanowski auf Klimafragen. Wenige können ihr Wissensgebiet so klar und gut lesbar für Laien aufarbeiten wie er. Sein Kredo lautet: „Das Klimaproblem ist zu bedeutend, um darüber nachlässige oder effekthascherisch zu berichten.“ Diesen Anspruch löst sein Buch ein. Er trennt die messbaren Tatsachen von Prognosen, Hypothesen und Szenarien und hütet sich, die realen Gefahren der Klimaerwärmung herunterzuspielen.
Seine Recherchen zeigen, dass seit den 1980er-Jahren verschiedene Interessengruppen versuchten die Klimaerwärmung zu negieren, herunterzuspielen oder im Gegenteil apokalyptisch zu dramatisieren. Kohle- und Öl-Kartelle auf der einen, Atom-, Wind- und Solarindustrie auf der anderen Seite. Wobei – Stand 2024 in Deutschland – die Wind-Sonne-Biogas-Lobby den Kampf um die moralische Lufthoheit haushoch gewonnen hat. Nicht zuletzt mit Hilfe der großen Umweltorganisationen und der Partei die Grünen, die seit den 1990er-Jahren immer stärker auf das Klimathema fokussierten.
Wissen verhält sich umgekehrt proportional zur Angst. Eine Studie die 2023 im Fachmagazin „Climate Change“ veröffentlicht wurde, ergab, dass Menschen umso weniger Sorge um den Klimawandel haben, je mehr sie darüber wissen. Wer das Thema über die Jahrzehnte verfolgte, konnte beobachten, dass die Klimapanik in Deutschland nicht durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Aufklärung über die Fakten angeheizt wurde. Die Angst breitete sich aus, als das Thema aus der Sphäre der Naturwissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten ins Feuilleton und in die Popkultur vordrang. TV-Philosophen, Schauspieler, Gesangsstars und Kirchenleute gefielen sich als (oftmals kenntnislose) Mahner und Warner – so ging der wissenschaftliche Diskurs im medialen Dröhnen unter. Einige Forscher sahen dadurch ihre Stunde gekommen und wollten selbst Popstars werden. So entwickelte sich eine Symbiose zwischen Medien und einer Handvoll Wissenschafts-Aktivisten, die dem Publikum den großen Konsens der Klimaforschung vorgaukelten. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung lieferte die Vorgaben zur Klimapolitik der Merkel-Regierungen und den Verkündigungen des Papstes. Sein damaliger Direktor erklärte 2017: „Die Elemente, Feuer, Wasser und Luft wenden sich nun gegen uns, weil wir den Planeten aus dem Gleichgewicht bringen.“
Fakt ist: Es herrscht Konsens über die messbare Tatsache, dass die globale Durchschnittstemperatur seit Mitte des 19. Jahrhunderts angestiegen ist. Auch über den nachweisbaren Einfluss des von Menschen verursachten CO2-Ausstoßes sind sich fast alle einig. Kein Konsens herrscht dagegen über die Folgen dieser Entwicklung. Steuern wir auf den Weltuntergang zu oder handelt es sich beim Klimawandel um ein Problem, dass man mit klugen Anpassungsmaßnahmen in den Griff kriegen kann? Wird die Erwärmung nur Schaden anrichten, oder auch viele Vorteile bringen, wie schon die historischen Warmzeiten? Und wie sicher sind die auf Computermodellen basierenden Prognosen? Darüber und über vieles mehr diskutieren die Klimaforscher kontrovers, so wie es sich für Wissenschaftler gehört. Die Fridays-for-Future-Parole „Folgt der Wissenschaft!“ müsste korrekterweise also heißen „Folgt den Wissenschaftlern, die unsere Ängste bestätigen!“.
Bojanowski hat die Debatten der Experten seit Jahrzehnten aus der Nähe verfolgt und aufgeschrieben. In seiner Zeit als SPIEGEL-Redakteur machte er dabei immer wieder die Erfahrung, dass seine Vorgesetzten den Lesern lieber nur die panischen Stimmen präsentieren wollten. Als der später entlarvte Fake-Reporter Claas Relotius von untergehenden Südseeinseln fabulierte, warnte Bojanowski die Chefredaktion – vergeblich.
Das Buch zeichnet die Karriere des Klimathemas nach und beschreibt, wie die öffentliche Wahrnehmung sich immer weiter von den wissenschaftlich nachweisbaren Fakten entfernte. So gehört es heute zur gängigen Überzeugung, dass die Klimaerwärmung zu mehr Wirbelstürmen geführt habe. Doch es gibt keinen Anstieg von Sturmwinden schreibt der UN-Klimarat in seinem jüngsten Sachstandsbericht. Ähnliche Diskrepanzen zwischen Fakten und öffentlicher (und auch journalistischer) Wahrnehmung existieren bei vielen angeblichen Folgen der Klimaerwärmung wie Waldbränden oder Überschwemmungen. Seltsamerweise ist die globale Statistik über Tote durch Wetterkatastrophen so gut wie unbekannt. Die Zahl der Katastrophenopfer sank seit dem frühen 20. Jahrhundert um mehr als 90 Prozent, trotz Globaler Erwärmung und obwohl die Weltbevölkerung sich vervierfacht hat. Erwähnen Sie diese Tatsache einmal in einer Runde deutscher Akademiker. Auf den darauffolgenden Empörungschor sollten sie gut vorbereitet sein. „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ wird ihnen helfen.
Axel Bojanowski
Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten
Westend Verlag, Neu-Isenburg
288 Seiten, 25,- Euro