Seit langer Zeit schwellen die Ozeane, womit das Risiko für Überschwemmungen zunimmt. Doch Messungen zeigen Überraschendes: Die Landflächen der Erde an den Küsten werden größer. Mit technologischem Fortschritt schützen sich die Menschen immer besser vor Überflutungen.
Ein Auszug aus dem neuen Buch »33 erstaunliche Lichtblicke – Warum die Welt besser ist, als wir denken«
Mit drei bis vier Millimetern pro Jahr steigt der Meeresspiegel aufgrund der globalen Erwärmung. In den vergangenen 150 Jahren schwoll er im globalen Durchschnitt insgesamt um 25 Zentimeter. Küstenregionen sind gewarnt, denn das Wasser droht landeinwärts vorzudringen. Messungen jedoch zeigen das Gegenteil: Die Landfläche ist gewachsen, die Küsten werden größer.
Allein von 1985 bis 2015 stieg das Meer um sechs Zentimeter, doch die Küsten wuchsen um fast 34 000 Quadratkilometer, nahezu zehnmal die Fläche Mallorcas, berichteten Geowissenschaftler um Yongjing Mao von der University of Queensland, Australien, 2021 im »Journal of Photogrammetry and Remote Sensing«: Auf fast allen Breiten- und Längengraden haben sich die Küsten ausgedehnt, trotz Meeresspiegelanstieg. »Wir haben herausgefunden, dass Zunahme der dominierende Trend gegenüber der Erosion auf der Welt ist«, schreiben die Forscher.
Die global gemittelte Änderungsrate betrage 0,26 Meter pro Jahr, also ein Plus von rund einem Viertelmeter; außer in Nordamerika würden die Küsten überall wachsen. Wohlstand erleichtert Schutz gegen den Klimawandel: Die Menschheit konnte den schwellenden Fluten trotzen, weil sie sich besser wappnete. Obwohl die Pegel höher auflaufen, richten sie weniger Schäden an, dokumentierte eine Studie 2019 in »Global Environmental Change«.
Die Zahl der Menschen, die durch Naturkatastrophen zu Tode kommen, ist drastisch gesunken. Ebenso wie die Zahl der Hungersnöte. Immer weniger Menschen müsse in absoluter Armut leben. Die Lebenserwartung steigt weltweit. Diese gut belegten Fakten stehen im krassen Gegensatz zu dem, was die meisten Menschen in Europa glauben. In Umfragen zeigt sich: Eine große Mehrheit ist davon überzeugt, dass alles immer schlechter würde. Auch Befragungen von Politikern und Journalisten offenbarten diese Faktenumkehr. Falsche Annahme über den Zustand der Welt gehören zum Kulturstandard in Deutschland und anderen wohlhabenden, westlichen Ländern. Im neuen Buch von Axel Bojanowski werden die wichtigsten Daten zu globalen Themen wie Klima, Umwelt, Armut, Bildung und Gesundheit verständlich erklärt, statistisch belegt und mit informativen Grafiken verdeutlicht. Eine Quelle des Wissens für jeden, der sachkundig mitreden will.
Axel Bojanowski: 33 erstaunliche Lichtblicke – Warum die Welt besser ist, als wir denken. Westend-Verlag 2025. 192 Seiten, 23,- Euro. Hier bestellen
Dass ein hoher Meeresspiegel nicht automatisch den Verlust von Land bedeutet, beweisen die Niederlande seit Jahrhunderten. Rund ein Sechstel ihres Landes haben die Niederländer der Nordsee abgetrotzt. Die Niederländer bauten Deichkreise ins Meer, um das darin gefangene Wasser herauszuschaffen – und das trocken gefallene Land zu befestigen. Die Niederlande sind besonders gefährdet: Gut ein Viertel der Fläche mit einem Fünftel der Bevölkerung liegt unter dem Meeresspiegel, manche Regionen mehr als fünf Meter tief. Hohe Deiche und Tore schützen das Land. Auf einen weiteren Anstieg der Nordsee um einen Meter wären Küstenanlagen bereits eingestellt, teilt das niederländische Amt für Wasserbau mit. Abgedeckt sind damit auch pessimistische Szenarien bis Ende dieses Jahrhunderts. Die Behörde plant bereits für die Zeit danach: Technisch könnten die Niederlande vier bis fünf Meter Meeresspiegelanstieg bewältigen.
Bangladesch ist reicher, als es die Niederlande Mitte des 19. Jahrhunderts waren, als der Nordsee bereits Land abgetrotzt wurde. Entsprechendes Potenzial hat auch das asiatische Land. Bangladesch sei mittlerweile eines der am besten auf den Meeresspiegelanstieg vorbereiteten Länder, erklärte einmal Saleemul Huq, bis zu seinem Tod im Oktober 2023 Direktor des International Centre for Climate Change and Development, über sein Heimatland. »Wir haben akzeptiert, dass wir uns anpassen müssen«, sagte Huq. Mit dem steigenden Meer dringt zunehmend Meersalz ins Grundwasser und auf landwirtschaftliche Felder. Bangladesch hat reagiert: Salztolerante Pflanzen werden angebaut, Ernteverluste auf diese Weise verhindert.
Auch Inselreiche werden größer. Viele Südsee-Eilande wachsen mit dem schwellenden Meer. Die Malediven bauen zudem künstliche Inseln, durch die sie ihre Landfläche in den vergangenen 25 Jahren um das Ausmaß Belgiens vergrößert haben, wie eine Studie einer Gruppe um Andrew Holdaway von der University of Auckland in Neuseeland zeigt.
Bisweilen schaffen negative Entwicklungen anderswo Küstenwachstum: Der Landgewinn an Flussmündungen sei häufig damit zu erklären, dass Wälder im Hinterland gerodet wurden. Deshalb gelangte vermehrt Sand in die Flüsse, der sich in den Mündungen ablagerte. Das Aufstauen von Flüssen hingegen entzieht ihnen Sediment, was die Erosion in den Mündungen fördert.
Bis Ende des Jahrhunderts könnten die Meere laut UN-Klimarat um 32 bis 76 Zentimeter höher stehen, und nach 2100 würde der Anstieg weitergehen. Ein immenses Problem: 600 Millionen Menschen weltweit leben an der Küste weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel. Manche Metropolen bedroht nicht nur der Anstieg der Ozeane, sondern auch die unkontrollierte Förderung von Grundwasser, die Städte absacken lässt.
Teile der indonesischen Hafenstadt Semarang etwa senken sich mit bis zu 15 Zentimetern pro Jahr ins Meer. Manche Straßenzüge der Millionenstadt sind bereits im Meer versunken. Bei der Kalkulation der Auswirkungen müssten zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden, fordern Experten um Gennadii Donchyts von der Delft University of Technology in den Niederlanden. Erwärmungsfolgen, natürlicher Wandel und menschengemachte Veränderungen wirkten gleichzeitig– moderne Technologie könnte helfen, die Fluten zu bändigen.
Südseeinseln wachsen – trotz Meeresspiegelanstieg
Vorhersagen zufolge sollten die flachen Inseln im Südpazifik untergehen, weil die Pegel der Meere steigen. Aber Studien zeigen für viele Eilande das Gegenteil: Sie wachsen. Und Landgewinnung lockt neue Bewohner an. Grafiken dokumentieren die erstaunliche Entwicklung.
Mahnungen, die Südseeinseln würden untergehen, haben lange Tradition. Die 1196 Inseln der Malediven hätten einer Prognose des UN-Umweltprogramms UNEP von 1989 zufolge bereits verloren sein sollen. 2009 hielt die Regierung der Malediven effektvoll eine Sitzung am Meeresgrund ab, um die Gefahr zu unterstreichen. Dabei wirkt die praktische Planung des Landes optimistisch: Die Malediven haben künstlich Land gewonnen, um neue Siedlungen zu errichten, und sie bauen neue Flughäfen auf Meereshöhe – trotz gestiegener Meerespegel. Das Land kämpft mit Ingenieurskunst gegen den Klimawandel.
Die Meere steigen, jährlich um drei bis vier Millimeter. Und die globale Erwärmung sorgt dafür, dass es auf lange Sicht weitergeht. Zwar hat Küstenschutz dafür gesorgt, dass Sturmfluten trotz des Klimawandels weniger gefährlich sind als früher. Doch die Herausforderung eines fortschreitenden Meeresspiegelanstiegs wird größer. Die Inseln im Südpazifik und im Indischen Ozean scheinen besonders gefährdet mit ihren langen, ebenen Küsten. Sie ragen kaum aus dem Wasser, und die Siedlungen liegen oft nur knapp über dem Meeresspiegel. Bislang jedoch helfen ihnen geologische Prozesse: Die meisten Inseln der Region wachsen mit dem anschwellenden Meer mit, die Sedimentierung an den Küsten der Eilande und das Wachstum der Korallen halten Schritt mit höher auflaufendem Wasser, zeigen Studien.
Das Inselreich Tuvalu beispielsweise hat sich auf natürliche Weise vergrößert – trotz globalen Meeresspiegelanstiegs. »Wir zeigen, dass die vorherrschende Art der Veränderung die Inselexpansion war, wodurch sich die Landfläche der Nation vergrößerte«, resümiert eine Forschergruppe um Paul Kench von der University of Auckland in Neuseeland. Ihre Ergebnisse stellten »die Wahrnehmung des Inselverlusts in-frage«, und sie zeigten, »dass Inseln dynamische Gebiete sind, die im nächsten Jahrhundert als Besiedlungsstandorte bestehen bleiben und alternative Anpassungsmöglichkeiten bieten«, schreiben Kench und seine Kollegen. Die Forscher hatten Luft- und Satellitenbilder von 1971 bis 2014 ausgewertet: Acht der neun Atolle Tuvalus und drei Viertel der 101 betrachteten Inseln gewannen an Fläche. Dennoch hielt auf der UN-Klimakonferenz 2021 der Außenminister von Tuvalu eine per Video übertragene Rede, bei der er im feinen Anzug knietief im Meerwasser stand, um zu zeigen, dass sein Staat an der »vordersten Front des Klimawandels« stehe.
Axel Bojanowski (Copyright: Matthias Giordano)
Ähnliche Entwicklungen beobachteten Forscher andernorts: Von 30 Atollen im Pazifik und im Indischen Ozean, die sie vermessen hätten, sei in den vergangenen Jahrzehnten keines geschrumpft. Und von 709 Inseln habe nur jede zehnte Land verloren, fast 90 Prozent hätten sich vergrößert und würden stabil bleiben, berichtete 2018 Virginie Duvat vom Institut du Littoral et de l’Environnement der Universität im südwestfranzösischen La Rochelle. Eine Studie im Fachblatt Anthropocene von einer Gruppe um Andrew Holdaway von der University of Auckland in Neuseeland bestätigt den Befund für andere Atolle. »In den vergangenen Jahrzehnten zeigten die Atollinseln keine weit verbreiteten Anzeichen einer physischen Destabilisierung angesichts des Anstiegs des Meeresspiegels«, schreibt Virginie Duvat. Während sich bei Tuvalu die meisten Inseln über zehn Hektar behaupten konnten, waren es in ihrer Studie alle, keine mit dieser Mindestgröße verlor Land.Und sie wagt eine optimistische Prognose: »Dieser Schwellenwert könnte verwendet werden, um die Mindestinselgröße zu definieren, die für die menschliche Besiedlung erforderlich ist, und um die Anfälligkeit von Atollen gegenüber dem Klimawandel zu bewerten.« Untersuchungen auf den Malediven haben ebenfalls bestätigt, dass dortige Atolle mit dem Meer mitwüchsen, berichteten Forscher in »Geophysical Research Letters«: Ihre Ergebnisse deuteten darauf hin, dass der prognostizierte Anstieg des Meeresspiegels und die Zunahme von Hochwassern »die weitere Bildung vertikaler Riffinseln erleichtern könnten«.
Die Forscher stellen die Probleme des Meeresspiegelanstiegs für die Inselwelt nicht in Abrede. Sie würden den Klimawandel »sehr ernst nehmen«, erklärte Kench beispielsweise. Eindringen des Wassers kann unterirdische Süßwasserressourcen bedrohen, künstliche Landgewinnung könnte Ökosysteme stören, und Küstenschutz kostet. Um die Folgen für Atolle vorherzusagen, gelte es jedoch zu verstehen, wie sie auf den Anstieg des Meeresspiegels tatsächlich reagierten.
Die Malediven wachsen nicht nur auf natürliche Weise. Auf der mit Sandaufspülung künstlich geschaffenen Insel Hulhumalé leben mittlerweile 50 000 Einwohner. Ein Reporter der BBC zeigte sich beeindruckt: »Landgewinnung ist zu einer simplen Tatsache des maledivischen Lebens geworden.«
Bangladesch geht unter? Nein, es wird größer
Vor 35 Jahren sagten die Vereinten Nationen wegen Klimawandel und Meeresspiegelanstieg den baldigen Untergang großer Teile von Bangladesch voraus. Jetzt zeigen Messungen: Das Land wird größer – und meldet beeindruckende Erfolge im Kampf gegen Naturgewalten.
Noch zehn Jahre blieben der Menschheit, um den Klimawandel zu stoppen, bevor er außer Kontrolle gerate, mahnte 1989 der hochrangige UN-Umweltfunktionär Noel Brown. Gelänge es nicht, den Erwärmungstrend bis zum Jahr 2000 umzudrehen, würden »ganze Nationen durch den Anstieg des Meeresspiegels vom Gesicht der Erde getilgt«. Ein Sechstel Bangladeschs könnte überschwemmt werden, mehr als 20 Millionen Menschen seien bedroht.
Wie viel des Landes hat sich das Meer seither geholt? Studien offenbaren Überraschendes: Bangladesch ist nicht kleiner, sondern größer geworden, seit 1990 um 2677 Quadratkilometer, wie eine aktuelle US-Studie im Fachmagazin »Journal of Sedimentary Environments« dokumentiert – eine Fläche fast exakt so groß wie das Saarland. Zwar seien Küsten in Bangladesch in den vergangenen drei Jahrzehnten erodiert, berichten darin Geowissenschaftler der Western Kentucky University, aber Landgewinnung habe den Verlust deutlich überwogen. Besonders die Pflanzung und die Pflege von Mangroven haben sich als effektiver Küstenschutz erwiesen. Die salztoleranten Bäume und Sträucher mit ihren verzweigten Wurzelsystemen brechen Wellen und beruhigen das Wasser, bevor es an die Küste spült, sodass es weniger Land erodiert.
Mancherorts aber macht sich der Anstieg des Meeresspiegels bemerkbar: Meersalz dringt ins Grundwasser und auf landwirtschaftliche Felder vor. Dennoch sei Bangladesch mittlerweile eines der am besten auf den Meeresspiegelanstieg vorbereiteten Länder, erklärte 2021 Saleemul Huq, der kürzlich verstorbene Direktor des Internati-onal Center for Climate Change and Development in London, über sein Heimatland. »Wir haben akzeptiert, dass wir uns anpassen müssen«, sagte Huq. Bangladesch hat Deiche und Polder gebaut, also ausgewiesene Überflutungsgebiete, in die Wasser im Notfall ausweichen kann. Mehr als die Hälfte des Landes liegt bereits geschützt hinter Deichen. Der Erfolg ist durchschlagend: »Die Bemühungen zur Risikominderung haben in den letzten Jahrzehnten zu einem deutlichen Rückgang der Todesopfer durch Sturmfluten geführt, was auf verbesserte Vorhersagen, Frühwarnungen und Schutzräume, aber auch auf einen verbesserten Küstenschutz zurückzuführen ist«, berichten Experten im Fachjournal Environmental Research Letters. Dabei waren die Voraussetzungen schlecht: Weite Teile Bangladeschs liegen auf Meeresspiegelhöhe und in der Zugbahn tropischer Stürme. Zudem erlebte das Land starkes Bevölkerungswachstum, seit 1960 vervierfachte sich die Einwohnerzahl auf mittlerweile rund 170 Millionen Menschen. Dennoch sterben dort heutzutage weitaus weniger Menschen in Naturgewalten. »In Bangladesch wurden in den 1960er-Jahren durch einen Sturm durchschnittlich 6600 Menschen getötet, in den 2010er-Jahren ist diese Zahl auf 30 gesunken«, berichten Forscher im Coastal Engineering Journal.
Im 20. Jahrhundert kamen durch starke Stürme immer wieder Zehntausende ums Leben, zum Beispiel 1942, 1965, 1991. Nach Zyklon »Bhola« 1970 waren gar bis zu einer halben Million Tote zu beklagen. Vergleichbare Sturmungeheuer zeitigen mittlerweile weitaus geringere Folgen: Als 2020 der Zyklon »Amphan« auf ähnlicher Bahn wie einst »Bhola« und noch stärker übers Land zog, starben nicht Hunderttausende wie 1970, sondern nur 128 Menschen.Im Notfall erreichen Unwetterwarnungen heute im Gegensatz zu früher auch abgelegene Orte, und Küstenbewohner können auf geschützte Anhöhen flüchten, wo es ausreichend Trinkwasser gibt, um länger dauernde Fluten zu überstehen.
Bangladesch ist, wie erwähnt, reicher als die Niederlande Mitte des 19. Jahrhunderts, als sie bereits professionell Landgewinnung betrieben; im Laufe des 21. Jahrhunderts könnte es so reich werden wie die Niederlande heute. »Klimaresistente Städte« im Landesinneren sollen Küstenbewohner aufnehmen, lautet ein Plan. Mit Förderprogrammen will Bangladesch junge Menschen zum Studieren in die »Klimastädte« locken, wo sie sich weiterbilden und besser bezahlte Berufe als an der Küste ergreifen könnten. Auf diese Weise ließe sich die Lösung des Klimaproblems mit Schaffung von Wohlstand verbinden.