Norman Borlaug (Foto: The World Food Prize)

Mutter Natur ist Gentechnikerin

Von Michael Miersch

Norman Borlaug und seinem Forscherteam gelang es in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts durch gezielte Züchtung die Getreideernten so zu steigern, dass Millio-nen Menschen vor dem Hungertod bewahrt wurden. Man nannte dies damals die „Grüne Revolution“. Zwei Jahre vor seinem Tod hatte ich Gelegenheit Borlaug zu interviewen.

Professor Borlaug, Sie sind 93 Jahre alt und blicken auf ein aktives Leben zurück. Genießen Sie Ihren Ruhestand?

Ich bin kein Rentner. Ich bin immer noch beruflich aktiv, als Professor, als Forschungsleiter und als Vorsitzender einer privaten Organisation, die sich für den Ausbau der Landwirtschaft in Afrika einsetzt.

Sie haben ein Leben lang gegen Hunger und Armut gekämpft. Immer noch steht 850 Millionen Menschen nicht genügend Nahrung zur Verfügung. Ist die Grüne Revolution gescheitert?

1960 waren vierzig Prozent der Menschheit unterernährt. Wäre es bei dieser Relation geblieben, hätten heute über zwei Milliarden Menschen nicht genug zu essen. Die Grüne Revolution hat die Produktion innerhalb von vierzig Jahren verdreifacht. Dadurch sank der durchschnittliche Preis für Getreide um die Hälfte. Heute sind 17 Prozent der Menschheit unterernährt. Das ist weiterhin eine Schande, besonders weil wir die technischen Möglichkeiten und die finanziellen Mittel haben, diese Plage ganz abzuschaffen.

Was läuft falsch? Warum gibt es immer noch Hunger auf der Welt?

Es fehlt der politische Wille. Viele Führer in armen Staaten ignorieren die Nöte der Landbevölkerung, obwohl ihre Länder ganz überwiegend Agrarländer sind. In den reichen Ländern sinkt der Anteil der Entwicklungshilfe am Inlandsprodukt seit drei Jahrzehnten stetig. In relativen Zahlen gerechnet rangieren die USA auf einem der untersten Plätze bei den OECD-Staaten. Unsere Regierung steckt zwanzig Milliarden Dollar in die Entwicklungshilfe und 500 Milliarden ins Militär. Das sind 56 Prozent der weltweiten Militärausgaben.

Wer genau hungert heutzutage?

 Das UN Millenium Development Project geht von 850 Millionen Hungrigen aus. Die Hälfte davon sind Bauern in abgelegenen Gebieten mit schlechten natürlichen Bedingungen. Zwanzig Prozent sind Hirten und Fischer. Ebenfalls zirka zwanzig Prozent sind Landlose Kleinbauern, hauptsächlich in den bevölkerungsreichen Ländern Asiens. Der Rest sind städtische Arme. Also lebt die große Mehrzahl der unterernährten Menschen in irgendeiner Form von Landwirtschaft. Und dennoch haben Regierungen und internationale Organisationen ihre Investitionen in Agrarforschung stetig gekürzt. Auch für Infrastruktur und Agrar-Dienstleistungen wird immer weniger ausgegeben.

Kommt die Globalisierung diesen Ärmsten der Armen eher zu Gute oder im Gegenteil?

 Das Mantra der Globalisierung und derer, die so verliebt in privatwirtschaftliche Lösungen für alles sind, lautet: Die Märkte werden es richten. Die Märkte können aber nicht alle Probleme lösen.  Dringend gebraucht werden auch kluge öffentliche Investitionen in die landwirtschaftliche Wertschöpfungskette. In Äthiopien wohnen zwei Drittel der Bevölkerung mehr als einen halben Tagesmarsch entfernt von einer brauchbaren Straße. Wie können sie am Weltmarkt teilnehmen? Wegen solcher kurzsichtigen Ideologien gibt es immer noch Hunger auf der Welt.

Macht nicht auch das schnelle Bevölkerungswachstum in einigen Ländern die Erfolge zunichte?

 Rein technisch ist es möglich eine Weltbevölkerung von zehn Milliarden zu ernähren. Bevölkerungsexplosionen in Entwicklungsländern verringern die Möglichkeiten von Regierungen sich ausreichend um das Notwendigste zu kümmern, um Wasserversorgung, Schulen, Krankenhäuser, Elektrizität.  Acht von zehn Babys, die in diese Welt geboren werden, beginnen ihr Leben in Armut, in einer Familie, die ihnen oftmals nicht die Ernährung und Pflege bieten kann, die sie für eine gesunde Entwicklung von Geist und Körper brauchen. Also ja, das was ich das ‚Bevölkerungsmonster’ nenne ist ein ernstes Problem für die menschliche Entwicklung und die Umwelt.

Manche Umwelt-Aktivisten sagen, dass steigender Wohlstand die Situation verschlechtert. Geben Sie ihnen recht?

In den reichen Ländern ging die Umweltverschmutzung zurück. Die großen Umweltschäden von heute passieren in den armen, ländlichen Gegenden der Entwicklungsländer. Dort wird in alarmierendem Ausmaß Wald gerodet, Boden ausgelaugt und Wasser verschmutzt. Analphabetismus ist ein Riesenproblem. Es ist erwiesen, dass die schulische Ausbildung von Mädchen die Geburtenraten senkt. Der reichen Länder sollten in die Grundschulen der armen Länder investieren, nicht aus Wohltätigkeit sondern aus Eigeninteresse.

Die UN hat das Ziel gesetzt, die Zahl der unterernährten Menschen bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Ist das realistisch?

Ja und nein. Technisch ist es möglich, politisch sehr unwahrscheinlich – in einer Welt, die eine Billion Dollar ins Militär pumpt und nur 50 Milliarden in staatliche Entwicklungshilfe.

Was wäre die beste Strategie dieses Ziel zu erreichen?

Wir müssen in randständige ländliche Gegenden investieren. Besonders dringend werden Straßen, Wassermanagement und Agrarforschung benötigt. Wir brauchen wissenschaftlichen Fortschritt inklusive Biotechnologie. Wir brauchen Regierungen, insbesondere in Afrika, die bereit sind wenigstens zehn Prozent ihres Haushaltes in die Entwicklung ländlicher Räume zu investieren. Wir brauchen OECD-Länder, die wenigstens 0,7  Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe ausgeben. Und wir brauchen in den Entwicklungsländern Politiker und Staatsbeamte die ihrer Bevölkerung rechenschaftspflichtig sind für das Geld, dass ihnen anvertraut wurde.

 Wie könnte denn so eine Rechenschaftspflicht erreicht werden?

Entwicklungshilfe sollte viel stärker an Leistungsstandards gekoppelt werden. Wenn Regierungen messbare Fortschritte erreichen, zum Beispiel im Hinblick auf die Millennium Development Ziele, sollten sie mit mehr Entwicklungshilfe belohnt werden. Ein System von Zuckerbrot und Peitsche wäre hilfreich. Das Prüfverfahren, das einige Staatschefs im der New Partnership for African Development (NERPAD) eingeführt haben ist ein Beispiel für bessere Regierungsarbeit. Demokratische Wahlen sind wichtig, denn dann sind die Regierungen den Wählern rechenschaftspflichtig. Mehr ökonomische Freiheit ist auch ein Weg zu mehr Rechenschaft, denn der Markt bestraft und belohnt. Und schließlich gibt es die neuen Möglichkeiten der Informationstechnologie. Durch sie können Daten über die erreichten Erfolge und Misserfolge viel schneller an die Planer und die Geldgeber gelangen.

Warum haben Sie sich in den letzten Jahren speziell auf Afrika konzentriert?

Afrikas Landwirtschaft hat ein hohes Potenzial, weil es das ganze Jahr über nie richtig kalt ist und an vielen Tagen die Sonne scheint. Die Wasservorräte sind auch erheblich, sie müssten nur besser entwickelt werden. Und es ist noch viel Land vorhanden, das zusätzlich kultiviert werden könnte. Doch das Potenzial Afrikas wird vernachlässigt. So extrem vernachlässigt, dass die Nahrungssicherheit in den vergangenen dreißig Jahren abgenommen hat und die Umweltzerstörung zunimmt. In relativen Zahlen gibt es nirgends mehr hungrige Menschen als in Afrika südlich der Sahara (in absoluten Zahlen sind es in Asien mehr). Afrika braucht dringend eine technische Revolution in der Landwirtschaft. Es wird wirtschaftlich nicht bergauf gehen, wenn nicht zuerst die Landwirtschaft in die Gänge kommt. Die Landbevölkerung leidet unter Krankheiten, Tierseuchen und ausgelaugten Böden. Die Wasservorräte, die Infrastruktur und speziell die Straßen und die Energieversorgung sind furchtbar unterentwickelt. Afrika braucht einen Marshallplan. Wenn es einen bekommen würde, könnte es in zwanzig Jahren wie verwandelt sein. Die alten Schulden an OECD-Länder und internationale Organisationen sollten erlassen werden und die Entwicklungshilfe verdoppelt. Aber all das wird nicht ausreichen, wenn nicht die afrikanischen Regierungen selbst besser handeln als in der Vergangenheit.

Kommen wir mal vom Thema „Entwicklung“ zum Thema „Umwelt“. Die Grüne Revolution hat zu höheren Erträgen geführt. Aber der Preis waren Monokulturen und der Einsatz von mehr Agrarchemikalien.

Als ich vor 92 Jahren geboren wurde, lebten 1,6 Milliarden Menschen auf der Welt. Nun sind es 6,5 Milliarden und jedes Jahr kommen 75 Millionen neue Erdenbürger hinzu, die Essen wollen. Wir können die Uhr nicht zurückdrehen. Mit der Agrartechnik die 1950 üblich war und die ziemlich dem Bio-Landbau von heute entspricht, bräuchten wir 1,1 Milliarden Hektar Ackerfläche mehr, um die 2,2 Milliarden Tonnen Getreide zu erzeugen, die 70 Prozent der Welternährung sicherstellen. Durch Wissenschaft und Technik haben wir den Ertrag pro Hektar in fünfzig Jahren verdreifacht. Durch diesen Erfolg musste das Ackerland in gleichen Zeitraum nur um zehn Prozent ausgeweitet werden. Was wäre mit den Wäldern, den Steppen den Wildtieren geschehen ohne diesen wissenschaftlichen Fortschritt? Alles wäre unter den Pflug gekommen, um das nötige Getreide zu produzieren.

Wäre Bio-Landbau nicht besser für den Planeten?

Unsinn. Das hieße, dass wir den Nutztierbestand verfünffachen oder versechsfachen müssten, um den notwenigen Dünger zu gewinnen, den wir für die Ackerböden brauchen. Der Pflanze ist es schnurz egal, ob der Stickstoff den sie braucht, aus dem Sack mit Kunstdünger kommt oder aus dem Kuhstall. Ohne Kunstdünger könnte die Landwirtschaft weltweit nur 2,5 bis drei Milliarden Menschen ernähren. Das bedeutet, die Hälfte der Menschheit müsste sterben. Ich frage mich, wo die Freiwilligen dafür herkommen sollen?

 Was halten Sie von der Grünen Gentechnik? Es ist doch gegen die Natur Gene von unterschiedlichen Arten zu kombinieren.

Mutter Natur ist Gentechnikerin. Sie hat nur Jahrtausende und länger gebraucht, um die Kreuzungen durchzuführen. Es ist nicht unnatürliches dabei, wenn man Gene zwischen taxonomischen Gruppen bewegt. Nach zehn Jahren kommerziellem Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, gibt es keinen nachgewiesenen Schadensfall, der durch diese Technologie hervorgerufen wurde. Das ist ein erstaunlicher Sicherheitsrekord, speziell für eine neue Technologie. Stellen sie sich vor in den ersten zehn Jahren der Fliegerei hätte es keine Unfälle gegeben. Das Problem ist, dass die Reichen und Verwöhnten eine Null-Risiko-Gesellschaft wollen. Aber es gibt kein Null-Risiko in der biologischen Welt. Wir sollten aufhören so überängstlich zu sein.

Aber es sind doch hauptsächlich die großen Agro-Konzerne, die von der Gentechnik profitieren, weil die Bauern die patentierten Samen immer wieder neu kaufen müssen.

Nein. Wir hätten nicht 102 Millionen Hektar Ackerland mit gentechnisch veränderten Pflanzen auf der Welt, wenn die Bauern keinen Vorteil davon hätten. Ich mache mir aber auch Sorgen über die mögliche Konzentration von Besitzrechten an Pflanzensorten in den Händen relativ weniger Firmen. Wir brauchen mehr gemeinnützige Forschung, damit dies nicht so kommt.

Wie beurteilen sie das Restrisiko, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel sich doch als gesundheitsschädlich herausstellen?

Möglich ist alles. Ist es wahrscheinlich? Nein. Wenn es passiert werden die Anwälte ein Fest feiern.

Und was ist mit dem Umwelt-Risiko? Zum Beispiel könnte eine der veränderten Pflanzen sich unkontrolliert vermehren, ihre Samen ausstreuen und überall gedeihen, wo man sie nicht haben will.

Noch mehr Paranoia. Noch mehr Suche nach der perfekten, risikolosen Welt. Absoluter Quatsch.

Einige der neuen Sorten enthalten ein Bakterien-Gen, das sie vor Schadinsekten schützt. Das wird vermutlich zur einer Entwicklung von Insekten führen, die gegen das Bakterium resistent sind. Was halten Sie von dieser Gefahr?

Natürlich werden immer sinnvolle Regelsysteme und Wissenschaft gebraucht. Bisher wurde das auch erreicht. Die natürlichen Feinde unserer Nutzpflanzen unterliegend der Evolution. Das ist eine Grundbedingung der Pflanzenzucht, egal ob mit Gentechnik oder ohne. Wenn man nicht schneller ist als sie, bekommen sie die Oberhand. Es gibt immer die Möglichkeit, das Insekten und Krankheitskeime sich verändern und die Pflanze erneut angreifen. Folglich sind neue Genkombinationen und die Erweiterung des genetischen Spektrums wichtige Instrumente eines dauerhaften Pflanzenschutzes. Bei den besagten Pflanzen mit den eingebauten Eigenschaften des BT-Bakteriums, wurden mehrere Gene aufeinander ‘gestapelt‘, so dass die Widerstandkraft der Pflanze erheblich zunahm. Weitere neue Kombinationen der BT-Gene werden in Zukunft notwendig sein, um die mutierenden Insekten in Schach zu halten. Außerdem ist es wichtig, dass zwischen den Feldern auch weiterhin Flächen mit den alten Pflanzensorten angebaut werden, damit kein evolutionärer Druck auf die Schadinsekten entsteht, bessere ‘Waffen‘ zu entwickeln.

Was werden die nächsten Entwicklungen der Grünen Gentechnik sein?

Die nächste Generation von gentechnisch veränderten Pflanzen wird verbesserte Nährstoffgehalte haben, zum Beispiel weniger Cholesterin, mehr Mineralstoffe und Vitamine. Diese Pflanzen stehen kurz vor der kommerziellen Anwendung. Dann folgen solche, die besser mit klimatischem Stress klarkommen (inklusive solchem, der durch globale Erwärmung entstehen könnte). Das heißt konkret: Verträglichkeit gegenüber Hitze, Kälte, Salzböden und Dürren. Diese Sorten sind noch etwas zehn Jahre von der kommerziellen Anwendbarkeit entfernt.

Und welche Eigenschaften werden aus Ihrer Sicht am dringendsten gebraucht?

Die Funktionen, die ich eben genannt habe, wie Dürre-Resistenz, werden dringend gebraucht. Entwicklungsländer benötigen solche verbesserten Sorten, damit der jährliche Ernteertrag verlässlicher wird. Die BT-Baumwolle ist ein großer Segen für die Baumwolle produzierenden Länder. Sie senkt die Kosten, verringert die Umweltbelastung und ist besser für die Gesundheit der Bauern, weil sie weniger Pestizide einsetzen müssen. Sorten die trotz agroklimatischen Stressbedingungen die Nährstoffe des Bodens besser aufnehmen würden die Notwendigkeit es Düngens reduzieren. Wenn es gelingt, solche Pflanzen zu entwickeln, wäre das ein Riesendurchbruch und sicherlich ein großer Erfolg. Beständigkeit gegen Dürre, Hitze und Salzböden würde in erster Linie den Kleinbauern zugute kommen, die unter schlechten Bedingungen arbeiten müssen und heute am stärksten von Mangelernährung betroffen sind. Verbesserte Nährstoffeigenschaften haben auch ein hohes Potenzial, aber die Verbraucher in den reichen Ländern werden sie teilweise ablehnen.

Können sie erklären warum viele Westeuropäer so ängstlich gegenüber der Grünen Gentechnik sind, und die Amerikaner die Sache viel cooler nehmen?

Im Jahr 2000 habe ich an einem europäisch-amerikanischen Biotechnology Consultative Forum mitgearbeitet, das von Präsident Clinton und Herrn Prodi, dem Präsidenten der Europäischen Kommission, ernannt worden war. Es sollte das ganze Spektrum von Themen untersuchen, die dazu geführt haben, dass auf beiden Seiten des Atlantiks so unterschiedlich über Grüne Gentechnik gedacht wird. Es gab in dem Gremium Meinungsverschiedenheiten über Regeln und Gesetze und die Notwendigkeit einer Kennzeichnungspflicht. Aber die meisten der zwanzig Experten aus Europa und Amerika waren sich einig, dass die Grüne Gentechnik zu bedeutenden Fortschritten im 21. Jahrhundert führen werde.  Die angesehensten Akademien Nordamerikas und Europas, inklusive des Vatikan, haben erklärt, dass sie die Grüne Gentechnik begrüßen, weil dadurch die Verfügbarkeit und Qualität von Nahrungsmitteln verbessert wird.

Das sind die Wissenschaftler, aber im Rest der europäischen Gesellschaft sind die Vorbehalte doch erheblich.

Es gab schon immer Menschen, die sich gegen den Fortschritt stellten. Überraschend ist allerdings die Heftigkeit einiger Reaktionen, zum Beispiel das Zerstören von Feldern.  Das hat mich verwundert, wo doch gerade die Grüne Gentechnik viele Umweltvorteile bringt, zum Beispiel, dass weniger Pestizide eingesetzt werden müssen. Grüne Gentechnik ist keine Hexerei sondern Pflanzenzucht auf molekularer Ebene. Es ist eine fortschrittliche Methode, um die Kräfte der Natur zum Wohle der menschlichen Ernährung zu nutzen. Die Idee diese neue Technik zu unterdrücken bis endgültig bewiesen ist, dass sie vollkommen harmlos ist, ist unrealistisch und nicht klug. Wissenschaftlicher Fortschritt bringt immer ein gewisses Risiko mit sich. Null biologisches Risiko ist nicht erreichbar.

Verstehen Sie die ablehnende Haltung vieler Europäer?

Ich finde die heftige Reaktion vieler Europäer schwer verständlich. Vielleicht liegt es teilweise daran, dass man fürchtet multinationale Konzerne könnten über Patente Herr über das Getreide werden. Teilweise wurden die Proteste auch von Leuten angeheizt, die den Kapitalismus grundsätzlich ablehnen. Eine generelle Fortschrittsfeindlichkeit spielt sicherlich auch eine Rolle. Und nach dem BSE-Problem misstrauten viele Verbraucher ihren Regierungen und Behörden.

Reiche Gesellschaften können sich den Luxus leisten eine Null-Risiko-Mentalität gegenüber dem Fortschritt zu entwickeln, selbst wenn es sich später als Unsinn herausstellt. Aber die große Mehrheit der Menschen kann sich das nicht leisten, und mit Sicherheit nicht die hungrigen Opfer von Kriegen, Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen. Die Debatte um Grüne Gentechnik ist aus meiner Sicht eine Debatte der Reichen auf Kosten der Armen.

Was könnte die Europäer überzeugen, das Grüne Gentechnik keine sonderliche Gefahr darstellt?

Der unnötige Kampf gegen Grüne Gentechnik in Europa und anderswo hätte vielleicht vermieden werden können, wenn mehr Menschen besseren Biologieunterricht gehabt hätten. Es gibt eine große Bildungslücke, eine wachsende und beunruhigende Ignoranz über die Zusammenhänge und Probleme der Landwirtschaft und der Lebensmittelerzeugung. Dieser Bildungsmangel sollte unverzüglich behoben werden.

Sie haben mal geschrieben „Eine der größten Bedrohungen der Menschheit ist, dass die Welt von einer alles durchdringenden aber gut getarnten Bürokratie erstickt wird.“ Sehen sie das immer noch so?

 Ja. Bürokratien in Wissenschaft, Verwaltung und Politik verhindern und erschweren Neuerungen und Fortschritt. Sie sind heimtückisch und ruinieren letzten Endes die meisten Organisationen. Nach einiger Zeit sind die Kosten einer Reform zu hoch. Dann muss man ihnen seitlich ausweichen und neue Institutionen gründen.

 

Norman Borlaug – der Mann, der Millionen Menschenleben rettete

 Wer Millionen Menschen umbringen lässt, geht in die Geschichte ein. Hitler und Stalin kennt jedes Schulkind. Doch über einen Mann, der Millionen Leben rettete, steht in den meisten Schulbüchern kein Wort. Norman Borlaug, der 2009 starb, ist bis heute nur Agrarfachleuten ein Begriff. Sehr zu Unrecht. „Er war der größte Mensch, der je gelebt hat,“ sagte der amerikanische Komiker Penn Jillette – und das ist kein Witz.

Borlaug galt als der Vater der Grünen Revolution, die heute ebenfalls fast vergessen ist. Der Begriff stammt aus einer Zeit, als Grün noch für Landwirtschaft stand und nicht für eine politische Richtung. Als Grüne Revolution wurden in den 60er- und 70er-Jahren die bahnbrechenden Erfolge der Agrarwissenschaft bezeichnet, die dazu führten, dass es immer weniger Hungersnöte auf der Welt gab und bald darauf genug Getreide für die gesamte Menschheit geerntet wurde. Ein Erfolg, der bis heute trotz des rasanten Bevölkerungswachstums anhält. Denn, darin sind sich alle Experten einig, die Ursache der Hungerkatastrophen neuerer Zeit liegt nicht in mangelnder Nahrung. Sie sind politische Desaster, ausgelöst durch Kriege oder diktatorische Regimes, die unliebsame Bevölkerungsgruppen gezielt aushungern wollen.

Das war vor Borlaugs Grüner Revolution ganz anders. Viele glaubten damals, dass der britische Pfarrer Thomas Malthus mit seinem „Essay on the Principle of Population“ recht behalten hatte. Darin vertrat er die These, dass die Bevölkerung auf ewig schneller anwachse, als die Nahrungsmittelproduktion gesteigert werden kann. Hunger sei Schicksal. Große Hungersnöte mit Zehntausenden von Toten, die alle paar Jahre Indien und China heimsuchten, schienen Malthus zu bestätigen.

Dann kamen Borlaug und seine Pflanzenzuchtexperten, die für das „Kooperative Programm für Weizenforschung und Produktion“ in Mexiko bessere Weizen-, Mais- und Bohnensorten entwickelten. Der größte Durchbruch gelang ihnen mit dem sogenannten Mexiko-Weizen, dem sie ein Gen für Zwergwuchs anzüchteten. Seine Halme blieben kurz, dafür waren die Ähren stärker. In Indien konnten damit die Erträge in zehn Jahren auf fast das Dreifache gesteigert werden. Innerhalb von vier Jahren erzeugte Mexiko genügend Weizen für seine Bevölkerung und war nicht mehr auf Importe angewiesen. China entwickelte mit Borlaugs Zuchtmethoden bessere Reissorten, die schon bald nahezu die Hälfte der Menschheit ernährten. Auch in anderen Ländern Asiens und Lateinamerikas griffen die Bauern zu den neuen, ertragreicheren Sorten. Malthus‘ Anhänger hielten das für unmöglich. Paul Ehrlich, der den Weltbestseller „Die Bevölkerungsbombe“ geschrieben hatte, sagte zu Borlaug: „Sie werden keinen bedeutenden Einfluss auf die Produktion der Nahrungsmittel haben.“ Doch es kam anders. Das Malthussche Gesetz wurde widerlegt.

Borlaug war auf einer kleinen Farm in Iowa aufgewachsen. Nur weil er ein guter Ringer war und dadurch als Sportler gefragt, erhielt er ein Stipendium und konnte Pflanzenpathologie studieren. Nach einer Zwischenstation im staatlichen Forstdienst lehrte er als Dozent an der Universität von Iowa. Sein großes Lebenswerk begann, als er zu der Forschungsgruppe in Mexiko stieß, die von der Rockefeller-Stiftung gefördert wurde. Dort entwickelte er im Team die neuen Sorten, die in den 60er- und 70er-Jahren die Landwirtschaft weltweit revolutionierten.

Nur in manchen Ländern des afrikanischen Kontinents blieben viele Bauern von den Fortschritten der Pflanzenzucht ausgeschlossen. Kleine Selbstversorger in abgelegenen Gebieten konnten sich das bessere Saatgut nicht leisten oder wussten nicht einmal, dass es so etwas gibt. Deshalb konzentrierte sich Borlaug seit den 80er-Jahren auf Afrika. Mit dem Geld des japanischen Philanthropen Ryoichi Sasakawa reiste er immer wieder in die Länder südlich der Sahara, um die Grüne Revolution auch dorthin zu tragen. Sein zweites großes Anliegen war in den späteren Jahren die Grüne Gentechnik, von der er sich eine zweite Grüne Revolution versprach. Damit auch die etwa neun Milliarden Menschen, die im Jahr 2050 auf der Erde leben werden, genügend zu essen haben.

In der Fachwelt war er ein Star und wurde mit Preisen wissenschaftlicher Institute und Ehrendoktortiteln überhäuft. 2007 erhielt er die höchste Auszeichnung der Vereinigten Staaten, die goldene Ehrenmedaille des Kongresses. Als 1970 die Früchte der Grünen Revolution sichtbar wurden, wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. „Mehr als jede andere Person unserer Zeit,“ schrieb damals die Jury in ihrer Begründung, habe Borlaug dazu beigetragen, „eine hungrige Welt mit Brot zu versorgen.“

Zuerst erschienen in DIE WELTWOCHE am 11.Oktober 2007