Eine ältere Berlinerin und eine junge Frau aus Polen im Gespräch. Die Deutsche erzählt, sie habe angesichts der Gedenkfeiern zum ersten Mal von der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes gehört, bei dem 2.000.000 Polen getötet wurden. „Im Westen hat man uns das immer verschwiegen,“ sagt sie. Mir fällt immer wieder auf, wie viele Menschen behaupten, ihnen sei von höheren Mächten etwas verschwiegen worden. In Wahrheit haben sie das jeweilige „unterdrückte“ Thema meist aus Desinteresse lange ignoriert und wundern sich, wenn sie es plötzlich entdecken. Bei AfD und Co. ist das ein gängige Erzählung. Auch „Fridays for Future“ tat so, als habe erst ihr Protest die Klimaerwärmung weithin bekannt gemacht, von der vorher kaum ein Mensch wusste. Dabei wurde seit Mitte der 1980er-Jahre unentwegt in Wort, Ton und Bild darüber berichtet. Die Postkolonialisten behaupten, bevor sie kamen, wäre der deutsche Kolonialismus nie ein Thema gewesen. Doch die Literatur über diese angeblich verdrängte Geschichte füllt Bibliotheken, wurde immer wieder von populären Medien aufgegriffen und war Stoff etlicher Filme und Kunstwerke. Es ist die Haltung von Kindern, die ihren Eltern die Schuld geben, wenn sie selbst etwas vergessen haben.
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Von Michael Miersch