Rückblicke durch rosa Brillen

Von Michael Miersch

Robert Habeck sollte man nicht für Extinction Rebellion verantwortlich machen. Die meisten Anhänger des Islam sind keine Islamisten. Rechte CSU-Anhänger haben mit Björn Höcke wenig gemein. Dass Pauschalisierungen falsch sind, ist eine Binsenweisheit. In Rückblicken auf die 70er-Jahre liest man jedoch oft, alle seien damals irgendwie links gewesen. Pauschal und falsch.

Richtig ist, dass viele Jugendliche sich in den 70er-Jahren in linken Gruppen und Parteien engagierten. Historiker schätzen, dass es 200.000 bis 250.000 waren. Das sind mehr, als heute bei „Fridays for Future“ aktiv sind. Auch die meisten Bundestagsparteien haben weniger Mitglieder. Viele Wortführer von damals machten später steile Karrieren. Doch es war keine Bewegung im Sinne eines gemeinsamen Zieles und gemeinsamer Überzeugungen, im Gegenteil. Es gab Totalitäre, die Diktaturen wie in China oder die Sowjetunion verherrlichten. Und es gab auf der anderen Seite antiautoritäre und undogmatische Linke, die eine freiere Gesellschaft erschaffen wollten. Man bekämpfte sich heftig mit Worten und immer wieder auch mit Fäusten. In Frankfurt kündigten die Führer einer maoistisch-stalinistischen Kaderpartei schon mal an, dass sie nach ihrer Machtergreifung Antiautoritäre in Arbeitslager stecken werden. In Berlin sprengten Mao-Jünger die Veranstaltung einer trotzkistischen Gruppe und schlugen mit Eisenstangen auf die Teilnehmer ein, bis mehrere schwerverletzt am Boden lagen. Zwei Beispiele von vielen. Das übliche Wegzwinkern, „Damals waren doch alle irgendwie links“, beschönigt eine irrlichternde und in Gewalt verliebte Zeit.