Die Ökoverbände und die Grüne Partei präsentierten sich in den 1970er-Jahren als eine völlig neue politische Bewegung, im Zweifel eher links. Vielen Akteuren war nicht bewusst, dass grünes Gedankengut schon einmal im »Dritten Reich« zur offiziellen Ideologie gehörte. Ein Blick auf verdrängte Traditionslinien
1945 gab es plötzlich keine Nazis mehr. Die cleveren und auf Karriere erpichten wandelten sich über Nacht in Demokraten (in den drei Westzonen) oder Kommunisten (in der SBZ). Die Kontinuität des Führungspersonals wurde erst viele Jahre später zu einem öffentlichen Thema. Funktionseliten werden in jedem Staat gebraucht, und so ist es historisch betrachtet nichts Besonderes, dass in allen Institutionen der Bundesrepublik Menschen hohe Posten bekamen, die zuvor den Nazis gedient hatten oder selbst überzeugte Nationalsozialisten waren. Viele waren schnell wieder ganz obenauf, als Juristen, Mediziner, Unternehmer, Politiker, Journalisten. Die Reihe der größeren und kleineren Skandale, die die »Enttarnung« der NS-Täter und Mitläufer jeweils auslöste, reicht von Globke, Kiesinger und Filbinger über Höfer und Nannen bis hin zu Grass und Jens.
Die Frage ist also nicht, wie es sein kann, dass dieser oder jener vermeintliche oder tatsächliche Nazi später in irgendeiner bundesrepublikanischen Institution Karriere machte, sondern wie sowohl diese Täter als auch die jeweiligen Institutionen, seien es Verbände oder Parteien, Behörden oder große Wirtschaftsunternehmen, mit ihrer Vergangenheit umgehen, ob und wie sie zu ihr stehen.
Unser Herz schlug für die Linke – damit ist nicht die Partei gemeint, die sich später so nannte – und die in den Siebzigerjahren aufkommenden grünen Ideen. Damit wähnten wir uns immer auf der Seite der Guten, derer, die frei waren von braunen Verstrickungen. Wer wie Kiesinger oder Filbinger vertuschte und leugnete, war nach unserer Vorstellung eine Schande für die Demokratie. Und dieser Maßstab gilt, so meinen wir, natürlich auch für uns selbst und jene, die uns politisch nahestehen. Und deshalb halten wir es auch für gegeben, gerade hier einmal genauer hinzuschauen und zu überprüfen, wie es jene mit der Transparenz halten, die sie bei anderen sehr zu Recht immer eingefordert haben.
Als die verschiedenen Ökoverbände und die Partei »Die Grünen« in den späten Siebzigerjahren entstanden, präsentierten sie sich als eine völlig neue politische Strömung. Die Kritik an Fortschritt, Technik und Industrie jenseits von Arbeit und Kapital, sollte ein dritter Weg sein, doch im Zweifel eher links.
Wie viele andere Akteure auch, waren wir uns damals kaum bewusst, wie sehr die Idealisierung der Natur und Argwohn gegenüber der Moderne zur deutschen Tradition gehört, beginnend spätestens in der Romantik, über die Lebensreformbewegungen um das Jahr 1900 bis hin zur Volksverklärung und der instrumentalisierten »Blut- und Boden«-Propaganda im »Dritten Reich«. Wer genauer hinschaut, lernt: Die hochemotionale Aufladung von Natur, ihre Überhöhung und Mystifizierung ist ein Kontinuum der deutschen Geistesgeschichte.
»Opa, warum sind die Fische tot?«, fragt das kleine Mädchen. Und Opa antwortet: »Weil die Industrie das Rheinwasser vergiftet hat.« Dieser Dialog stammt aus einem Fernseh-Wahlspot der Grünen von 1983, dem Jahr, als die Partei erstmals in den Bundestag einzog. Für die Rolle des freundlichen Großvaters heuerten die Werbefilmer nicht irgendeinen Statisten an, sondern Werner Vogel, Spitzenkandidat der nordrhein-westfälischen Liste. Nach der Wahl und dem Erfolg der Grünen war Vogel der älteste Abgeordnete, damit stand ihm in der Tradition des Bundestags die Eröffnungsrede zu. Doch dazu kommt es nicht. Denn kurz vorher wird seine Vergangenheit bekannt: SA-Sturmführer und NSDAP-Mitglied. Er tritt zurück. Danach wurde es still um Werner Vogel. Er blieb der Partei noch einige Jahre treu und engagierte sich in der Kommunalpolitik. 2013, über 20 Jahre nach seinem Tod, gerät er noch einmal in die Schlagzeilen. Nicht wegen seiner NS-Vergangenheit, sondern weil herauskommt, dass Vogel pädophile Gruppen unterstützte, die versuchten bei den Grünen Einfluss zu gewinnen.
Der NRW-Spitzenkandidat von 1983 war keine Ausnahmeerscheinung. Mehrere Ex-Nazis gehörten zu den Gründervätern der Grünen und zur Führungsspitze der großen Umweltverbände. Sie sind tot und in Vergessenheit geraten. War es ein Zufall, dass sie als Geburtshelfer einer angeblich völlig neuartigen Bewegung fungierten? Passte nicht vieles vom grünen Weltbild in die Weltanschauung ihrer Jugend: die Natur als geistiger Bezugspunkt, das Unbehagen an der Moderne, die Zurückweisung des Fortschritts, das Misstrauen gegen die Technik und der alte deutsche Wunsch nach einer Erziehungsdiktatur?
Wie gesagt: Auch und vor allem bei CDU und FDP schlüpften alte Nazis unter, einige sogar in der SPD, und in der offiziell antifaschistischen DDR stiegen etliche in der SED auf. Doch in diesen Parteien eroberten die braunen Seilschaften ihre Posten unmittelbar nach dem Krieg. Dass 30 Jahre später bei Gründung der Grünen alte Nazis mitmischten, widerspricht einem zentralen Mythos der Partei: Man sei 1980 in aller Unschuld als völlig neue politische Bewegung angetreten.
Zur Verteidigung muss gesagt werden, Vogel und andere Mitbegründer mit brauner Vergangenheit wurden später aus der Partei gedrängt. Einer der wenigen, die sich offensiv mit den ideengeschichtlichen Gemeinsamkeiten von Braun und Grün befasste, ist Jürgen Trittin. Er hat einen Beitrag auf seine Website gestellt, in dem er von »erheblichen Schnittmengen« und »zahlreichen Berührungspunkten« schreibt. Der Naturschutz sei »in mehrfacher Beziehung anschlussfähig an das Ideologienkonglomerat der Nazis« gewesen. »All das mag für einen Naturschützer unangenehm sein – aber es ist die historische Wahrheit.«
Doch Trittins Initiative – er unterstütze als Umweltminister ein wissenschaftliches Symposium zu dem Thema – blieb ein singuläres Ereignis. Anders als die alten Parteien und Institutionen mussten sich die Grünen und die Umweltverbände bis heute kaum kritische Fragen in der Öffentlichkeit gefallen lassen. Ärzteschaft, Justiz, Banken, Konzerne, nahezu alle Institutionen der westdeutschen Gesellschaft wurden in den Achtziger- und Neunzigerjahren über ihre NS-Verstrickungen ausgefragt. Hatten sie wirklich, wie zuvor gern behauptet, nur ganz normale Geschäfte gemacht? Oder doch die Nazis aktiv unterstützt? Hatten sie die Arisierung ausgenutzt, von Sklavenarbeit profitiert? Schnell kapierten die Schlaueren im Führungspersonal, dass man diesen Fragen nicht mehr ausweichen konnte, schütteten sich Asche aufs Haupt und bezahlten Historikerkommissionen, die dann dicke Bände erstellten, die keiner liest. Jeder Bereich der Gesellschaft wurde so ausgeleuchtet und der Fünfzigerjahre-Unschuldsmythos (»Ich war’s nicht, der Hitler war’s gewesen«) beerdigt. Der rasant wachsenden grünen Bewegung hingegen gelang es, sich als jungfräulich darzustellen.
»Ihr lieben grünen Freunde! Wir stehen mit unserer Partei vor einer kopernikanischen Wende! Chaos herrscht, wo ein Stern geboren wird!« Mit diesen Sätzen vereinte August Haußleiter den bunten Haufen Umwelt- und Friedensbewegter, der sich 1980 zur Grünen Partei zusammenschloss. Die Versammelten wählten den damals 75-jährigen Politveteran zu einem der drei gleichberechtigten Sprecher. Dass er seine pathetische Ausdrucksweise als Kriegsberichterstatter für antisemitische Kampfblätter erlernt hatte, machten verschiedene Medien bald publik. Haußleiter trat als Sprecher zurück, doch noch 1986 zog er für die bayerischen Grünen in den Landtag ein. Auf die Mitbegründer Werner Vogel und August Haußleiter angesprochen, beruhigte Michael Schroeren, Pressesprecher der Grünen-Bundestagsfraktion im Jahr 2012, dass die beiden doch ohnedies Nazis waren, ohne »explizite Bezüge zu einer nazistischen Naturschutzideologie«.
Der Kunsthistoriker Beat Wyss deckte auf, dass Joseph Beuys, hoch dotierter Künstler und prominentes Aushängeschild der jungen Grünen, einst zum Dunstkreis der völkischen Nationalrevolutionäre gehört hatte. Vor seinem Eintritt in die Grünen unterstützte er Haußleiters Partei »Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher« (AUD). Bernhard Grzimek, der über Jahrzehnte prominenteste deutsche Naturschützer, kandidierte für die »Grüne Aktion Zukunft«, eine Vorläuferpartei der Grünen. Jahrzehnte nach seinem Tod enthüllte die Biografin Claudia Sewig, dass auch er NSDAP-Mitglied war. Sie stuft den Zoologen nicht als ideologisch motiviert, sondern als einen ehrgeizigen Opportunisten ein, der sich ein Parteibuch zulegte, um besser Karriere machen zu können.
Baldur Springmann, der gern in einem Russen-Kittel auftrat, war in der Gründungszeit eines der bekanntesten Gesichter der Partei. Frühere Mitgliedschaften des knorzigen Biobauern umfassten SA, SS und NSDAP. Doch schon bald verließ er die Grünen und wurde Vize der neuen Ökologisch-Demokratischen Partei. Nur ein Jahr nach dem Fall Werner Vogel stellte die Partei Luise Rinser als Kandidatin fürs Bundespräsidentenamt auf, die einst hymnische Gedichte auf Hitler verfasst hatte und noch 1981 in ihrem »Nordkoreanischen Reisetagebuch« Diktator Kim Il-Sung rühmte. Ein anderer Grüner der ersten Stunde war Alfred Mechtersheimer. Er nahm den umgekehrten Weg, trat von der CSU zu den Grünen über und wurde erst danach immer brauner. Der Friedensaktivist saß bis 1990 für die Partei im Bundestag. In einem Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes von 1997 heißt es, Mechtersheimer habe sich »zu einem der wichtigsten Protagonisten rechtsextremistischer Bestrebungen entwickelt«.
Die braunen Jahre in der Biografie mancher Grüner aus der Gründergeneration waren in der Öffentlichkeit nie mehr als ein Randthema, das gelegentlich aufflackerte. Die konservative Presse stürzte sich lieber auf die rote Vergangenheit bekannter grüner Politiker. Auch davon gibt es etliche: Reinhard Bütikofer, Winfried Kretschmann, Joscha Schmierer, Jürgen Trittin, Antje Vollmer und viele, viele andere. Geht man die Namen der grünen Spitzenfunktionäre mit kommunistischer Vergangenheit durch, fällt eines auf: Von den vielen linken Strömungen der Nach-68-Zeit waren die Anhänger der sogenannten K-Gruppen, die Stalin und Mao verehrten, offenbar ganz besonders durchsetzungsstark. Ausnahme: Joschka Fischer, der der undogmatischen, antiautoritären Sponti-Bewegung entstammte.
Anfang der Achtzigerjahre liefen den K-Gruppen die Mitglieder weg. Viele Kader fanden daraufhin ein warmes Plätzchen bei den Grünen. Selbstreflexion – die man von den Nazi-Vätern immer eingefordert hatte – fand nie statt. Man tauschte nur ein paar Formeln aus. »Proletariat« wurde zu »Umwelt«, »Kapitalismus« zu »Industriegesellschaft« und schon konnte die Karriere weitergehen. »Die neurotische Grundstruktur der K-Gruppen«, schreibt Götz Warnke in seinem Buch »Die grüne Ideologie«, »wurde als hysterische Form des Marxismus beim Übertritt zu den damaligen Grünen teilweise mittransportiert. Die neue Partei ermöglichte den K-Leuten, ihren eigenen Anspruch, etwas Besonderes, eine Art Elite zu sein, selbst nach dem Scheitern ihrer Ideologie aufrechtzuerhalten.«
Die totalitäre Geisteshaltung hat sich beim Übertritt von den K-Gruppen zu den Grünen nicht in Luft aufgelöst. Viele Lieblingsprojekte der Grünen und ihres Umfeldes riechen nach Erziehungsdiktatur. Wenn das Volk nicht erkennen will, was gut ist, dann muss das Gute eben von oben vorgeschrieben werden. Seien es Lampen, Duschköpfe oder Rauchverbote.
Doch zurück zu den braunen Wurzeln, die so lange in Vergessenheit geraten sind. Nicht nur die grüne Partei hat blinde Flecken in ihrer Geschichte, auch die großen Umweltverbände. Lina Hähnle, Vorsitzende des »Reichsbunds für Vogelschutz«, Vorläufer des heutigen NABU, bot einst Hitler »freudige Gefolgschaft« an. Dafür wurde der Reichsbund mit einer Monopolstellung belohnt, andere Vogelschutzverbände mussten zwangsbeitreten. Dies ließ die Umsätze des Vereins von 45 000 Reichsmark (1932) auf 85 000 Reichsmark (1941/42) hochschnellen.
Auch der Bund Naturschutz (die bayerische Stammorganisation, aus der später der BUND entstand) frohlockte 1933: »Keine Zeit war für unsere Arbeit so günstig wie die jetzige unter dem Hakenkreuzbanner der nationalen Regierung.« Noch lange nach dem Krieg wurde der Bund Naturschutz von einem Ex-Nationalsozialisten geführt. Von 1958 bis 1963 hatte Alwin Seifert die Position des »Bundesleiters« inne. Zuvor, im »Dritten Reich«, gehörte Seifert zum inneren Kreis der NS-Hierarchie. In seiner Funktion als »Reichslandschaftsanwalt« sorgte er dafür, dass die Ränder der Autobahnen mit deutschen Gehölzen bepflanzt wurden. Außerdem befasste er sich mit der Umgestaltung der eroberten »Lebensräume« im Osten. Denn dort hatten sich, aus Sicht der NS-Ideologen, die »Grausamkeiten der ostischen Völker« in die »Fratze ihrer Herkommenslandschaft eingefurcht«. Gemäß der Anweisung Himmlers sollte das eroberte Land so umgestaltet werden, dass »der germanisch-deutsche Mensch« sich dort zu Hause fühlte. Dass dafür Millionen Russen vertrieben oder getötet werden sollten, war Seifert wohl bewusst. Offenbar hatte er bei diesem Job genau so wenig Skrupel, wie bei seinen Kontakten zum biologisch-dynamischen Kräutergarten im Konzentrationslager Dachau, in dem Häftlinge zu Tode geschunden wurden. Ein Vierteljahrhundert später schrieb Seifert das Buch »Gärtner, Ackern – ohne Gift«, bis heute ein Bestseller und laut Amazon »eine Bibel der ökologischen Bewegung«.
Die Weltanschauung des »Dritten Reiches« war grüner, als vielen Grünen heute lieb ist. Zur »Blut und Boden«-Ideologie gehörte gesunde Ernährung, die Idealisierung des bäuerlichen Lebens und deutsche Waldromantik. »Es geht gegenüber der deutschen Natur und Heimat«, schrieb Hans Schwenkel, Mitinitiator des Reichsnaturschutzgesetzes von 1935, »um Weltanschauung, um amerikanisch-jüdische oder um deutsche Lebensauffassung und Lebensgestaltung. Es geht jetzt um letzte Entscheidungen zwischen Ehrfurcht oder Ausbeutung, Einfühlung oder Vergewaltigung, Geist oder Stoff.«
Für den Kulturwissenschaftler Friedemann Schmoll liegen grüne und braune Denkmuster gar nicht so weit auseinander. »Antisemitismus und Naturschutz«, schreibt er, »finden sich beide in Abwehrhaltung zu ihrer Zeit. Und beide teilen eine Reihe konstitutiver Muster und Grundwerte. Die Verklärung ländlicher Daseinsformen ging einher mit tiefer Ablehnung urbaner Kulturen und eines entfesselten Kapitalismus. Das Pochen auf Gemüt und Intuition verband sich mit borniertem Anti-Intellektualismus … Die Utopie einer ›reinen‹ Umwelt findet ihre Entsprechung in der Vorstellung einer judenreinen Welt.«
Autarkie war eines der wichtigsten Ziele des NS-Regimes, deshalb war auch das Interesse an nachwachsenden Rohstoffen und alternativen Energien groß. Der »Völkische Beobachter« schwärmte, die Windenergie würde »eine völlige Umwälzung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse herbeiführen«. »Reichskrafttürme« hießen die Propelleranlagen damals. Die erste Windkraftfirma »Ventimotor« gründeten der Thüringer Gauleiter Fritz Sauckel und das Mitglied des Freundeskreises Reichsführer SS Walther Schieber.
Die Gefahr einer durch Menschen verursachten Klimaerwärmung wurde 1959 in dem Roman »Der Tanz mit dem Teufel« erstmals beschworen. Autor war der Österreicher Günther Schwab, der es als Nazi zum SA-Sturmführer gebracht hatte. Im späteren Leben galt er als grüner Visionär, erhielt Orden und das »Ehrenzeichen in Gold des Naturschutzbunds Österreich«.
Die braunen Ökos hatten ein Herz für Käfer und Bäume und waren gleichzeitig glühende Antisemiten. »Judentum und deutsche Natur«, hieß es 1939 in der Zeitschrift des Vereins Naturschutzpark, »sind unvereinbare Begriffe.« Das von den Nationalsozialisten geschaffene Naturschutzgesetz blieb ebenso wie das Tierschutzgesetz noch bis in die Siebzigerjahre in Kraft.
Hitler war bekanntermaßen Tierversuchsgegner und Vegetarier. Weniger bekannt dürfte sein, dass Reichsbauernführer Walther Darré persönlich dafür sorgte, dass der Führer immer frisches Biogemüse bekam. Himmler pries in einer Rede die alten Germanen, die »von der göttlichen Ordnung der ganzen Pflanzen- und der ganzen Tierwelt überzeugt waren«. Er schwadronierte über die Rechte von Mäusen und Ratten und warnte davor, über solche Betrachtungen zu lachen. »Es wäre besser«, meinte er, »wir pietätlosen Menschen würden unser Haupt neigen vor der Tiefe und Größe dieser Weltanschauung.«
Der SS-Führer wird von einigen Historikern zum »grünen Flügel« der NSDAP-Leitung gezählt, ebenso wie Walther Darré, Rudolf Heß, Fritz Todt und Alwin Seifert. Die Grünbraunen schwärmten für alternative Heilkunst und Biolandwirtschaft. Manche von ihnen sympathisierten zeitweise mit der Steiner’schen Anthroposophie. Allerdings hatte der grüne Flügel der Nazis zwar großen ideologischen Einfluss, konnte aber nur geringe praktische Erfolge verbuchen. Denn es gab auch technophile und fortschrittsbegeisterte Nazis, die mit den Grünen im Clinch lagen. Oftmals blockierten sich die verschiedenen Strömungen gegenseitig. Am Ende fegten die Zwänge der Kriegswirtschaft ohnehin jeden Gedanken an Ressourcenschonung und Naturschutz hinweg.
Die grüne Seite des Nationalsozialismus ist ein äußerst peinliches Thema. Zu ähnlich sind manche Schlagworte und Denkmuster. Doch wer den Hinweis auf solche Gemeinsamkeiten reflexhaft als anti-grüne Polemik beiseiteschiebt, tut sich keinen Gefallen. Wir meinen, dass wir gerade aus einer selbstkritischen Betrachtung der braunen Wurzeln des Umwelt- und Naturschutzes nützliche Erkenntnisse ziehen könnten. Es hilft nicht weiter, einfach so zu tun, als wäre grünes Denken per se emanzipatorisch und menschenfreundlich.
Bis heute wabert in der grünen Bewegung ein Kult um das Autochthone, vom regionalen Essen bis zur Ablehnung »fremder« Tier- und Pflanzenarten. Biologisch ist das ziemlich unsinnig. So wie die deutsche Bevölkerung kaum »germanisch« ist, sondern einem sich über die Jahrhunderte immer wieder verändernden Völkergemisch entstammt, so war auch die »heimische« Tier- und Pflanzenwelt nie statisch. Die heute von manchen Naturschützern vertretene Einschätzung, dass alle Arten fremd seien, die nach 1500 eingewandert sind oder vom Menschen angesiedelt wurden, ist offensichtlich willkürlich. »Nur ein totalitärer Staat kann wissen, welche statische Natur er schützen und einrichten will«, kritisiert der Ökologe Hansjörg Küster. Im Übrigen dürfte man dann bei uns auch keine Kartoffeln und Tomaten anpflanzen, die beide aus Südamerika »eingewandert« sind.
»Invasive Arten« nennt das Bundesnaturschutzgesetz die Einwanderer. Sie sollen in ihrer Ausbreitung gestoppt oder am besten gleich vernichtet werden. In Brüssel wird 2014 eine EU-Verordnung zur Eindämmung und Bekämpfung invasiver Arten diskutiert. Einige Dogmatiker haben schon mal vorgeschlagen, die westdeutschen Biber auszurotten, weil sie von skandinavischen Bibern abstammen, die in den Sechzigerjahren ausgesetzt wurden.
Als Musterbeispiel einer schädlichen eingeschleppten Spezies wird immer wieder die Spanische Wegschnecke genannt, ein lästiges Weichtier, das sich an feuchten Sommertagen über Gemüsebeete hermacht und daher bei Gartenbesitzern verhasst ist. Angeblich wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg durch Lebensmittelimporte nach Deutschland verfrachtet. Doch Forscher der Frankfurter Goethe-Universität fanden heraus, was die aufgeräumte Welt der Artenordner schwer erschüttert: Die Wegschnecke ist urdeutsch. Es ist, als müsste die NPD erkennen, dass die germanischen Wälder einst von afrikanischen Juden bevölkert waren. Bei ihrer aufwändigen Suche fanden die Biologen keine Spanischen Wegschnecken in Spanien und Frankreich. »Diese Art ist definitiv nicht dort heimisch, sondern bei uns«, sagt der Erstautor der Studie Markus Pfenninger. Die Wissenschaftler vermuten, dass die auffällige Zunahme dieser Nacktschnecken an veränderten landwirtschaftlichen Anbaumethoden liegt.
Auch das Beharren auf bestimmten, gewohnten Landschaftsbildern hat nichts mit Ökologie zu tun. In den Anfängen der grünen Bewegung, im 19. Jahrhundert, sprach man ehrlicherweise mehr von »Heimatschutz« als von »Naturschutz«. Man wollte – und viele wollen es auch heute noch – gewohnte Zustände konservieren. Doch Natur ist dynamisch. Ihr Erfolgskonzept heißt Evolution, stetige Veränderung. Ein evolutionäres, die Dynamik alles Lebendigen einbeziehendes Naturbild würde den Umweltverbänden und den Grünen guttun. Doch mit den gewohnten Denk-Kategorien, in denen Veränderung stets Risiko bedeutet, lebt es sich bequemer.
Wie man totalitäre Gesinnung, Antisemitismus und Rassismus schön grün verpacken kann, haben mittlerweile auch die neuen Nazis kapiert. »Der Materialismus der letzten Jahrzehnte hat die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen in unverantwortlicher Weise vorangetrieben«, heißt es im Parteiprogramm der NPD. Auch sonst klingt es darin ziemlich grün. Man kämpft für Biolandwirtschaft, ist gegen Atomkraft und Gentechnik. »Die NPD«, warnt der Leipziger Historiker Nils Franke, »hat über die letzten Jahre ihre Bemühungen zur Unterwanderung der Naturschutzszene verstärkt.« »Hinter dem Anliegen, das vielen Menschen als links erscheint«, bestätigt die »taz«, »stecken oft ›braune Ökologen‹, die mit ihrer Umweltfreundlichkeit rechtsextreme Ideen verbreiten.« Sie können auf eine lange Tradition zurückblicken.
Dieser Text bildet das 8. Kapitel des Buches
„Alles grün und gut?
Eine Bilanz des ökologischen Denkens“
KNAUS, München 2014
von Dirk Maxeiner und mir