2019 verabschiedete ich mich von Facebook, 2020 von Twitter. Nach zehn Jahren in den Social Media hatte ich den Eindruck, dass man dort kaum noch Originelles, Überraschendes oder geistig Anregendes findet – stattdessen endlose Wiederholungen altbekannter Gesinnungsplattitüden. Weil ich die kurze Form aber mag, finden Sie hier meine Randbemerkungen über Aktuelles und Zeitloses, Wichtiges und Marginales.
Für wen deutsche Moral gilt und für wen nicht
Im Deutschlandfunk und anderen Medien wird gerade in höchst in moralischen Tönen darüber diskutiert, ob es vertretbar sei, den Tiergartenmörder im Austausch gegen Putins Geiseln freizulassen. Wenn Israel in der Vergangenheit (wie es leider oft geschah) vor der gleichen Entscheidung stand, war der Ton in deutschen Medien genau gegenteilig. Zögerte die israelische Regierung mit der Freilassung der Mörder, hieß es, sie sei unerbittlich und eskaliere die Situation. Oftmals war in den deutschen Nachrichten von „Gefangenen beider Seiten“ die Rede. Es wurde nicht einmal unterschieden zwischen Geiseln und verurteilten Terroristen.
Mitgehört auf dem Wochenmarkt
Eine ältere Berlinerin und eine junge Frau aus Polen im Gespräch. Die Deutsche erzählt, sie habe angesichts der Gedenkfeiern zum ersten Mal von der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes gehört, bei dem 2.000.000 Polen getötet wurden. „Im Westen hat man uns das immer verschwiegen,“ sagt sie. Mir fällt immer wieder auf, wie viele Menschen behaupten, ihnen sei von höheren Mächten etwas verschwiegen worden. In Wahrheit haben sie das jeweilige „unterdrückte“ Thema meist aus Desinteresse lange ignoriert und wundern sich, wenn sie es plötzlich entdecken. Bei AfD und Co. ist das ein gängige Erzählung. Auch „Fridays for Future“ tat so, als habe erst ihr Protest die Klimaerwärmung weithin bekannt gemacht, von der vorher kaum ein Mensch wusste. Dabei wurde seit Mitte der 1980er-Jahre unentwegt in Wort, Ton und Bild darüber berichtet. Die Postkolonialisten behaupten, bevor sie kamen, wäre der deutsche Kolonialismus nie ein Thema gewesen. Doch die Literatur über diese angeblich verdrängte Geschichte füllt Bibliotheken, wurde immer wieder von populären Medien aufgegriffen und war Stoff etlicher Filme und Kunstwerke. Es ist die Haltung von Kindern, die ihren Eltern die Schuld geben, wenn sie selbst etwas vergessen haben.
Dit is Ballien
Ein Moabiter hat bei der Stadtverwaltung nachgefragt, wie es mit den Spundwänden weitergeht, die seit etlichen Jahren am Hansaufer in die Spree gerammt wurden, jetzt wo diese Ufersicherungsmaßnahmen offenbar abgeschlossen sind. Er erhielt folgende Antwort, die er auf einer Nachbarschaftsplattform veröffentlichte:
“Am Hansaufer wurde zunächst als Sofortsicherung wasserseitig der Altbefestigung eine neue Spundwand eingebaut und der Zwischenraum mit Sand verfüllt. Dieser Zustand wird anhalten, bis zum Neubau der Uferbefestigung. Der Neubau befindet sich derzeit in Planung. Wir rechnen damit, die Genehmigungsunterlagen in diesem Jahr einzureichen. Die Genehmigungsverfahren werden durch Genehmigungsbehörden geführt, so dass wir deren Dauer nicht sicher angeben können. Wir rechnen damit, im Bereich Hansaufer nicht vor 2027 mit den Arbeiten beginnen zu können. Da wir zudem von zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln abhängen, möchte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Aussagen zur Fertigstellung treffen.”
Da beste waren die Reaktionen auf der Nachbarschaftsplattform. Einige fanden es prima, dass das Provisorium so lange bleiben wird. Denn der hinter der Spundwand aufgeschüttete Sandstreifen sei eine prima Location zum Chillen.
Wie sag ich’s der Bevölkerung?
An der Hochschule München entwickelt Forscherinnen und Forscher Kommunikationsstrategien, um die Deutschen von der Energiewende zu überzeugen. Getreu dem Motto der Regierung: Wir mache zwar alles richtig, aber sollten es den Leuten besser erklären. „Bürgernahe Kommunikation“ sei der Schlüssel, damit sich „Menschen angesprochen fühlen bei der Umstellung auf nachhaltige Energiesysteme mitzuziehen,“ heißt es in einer Pressemitteilung der Hochschule. Das Forschungsteam schlägt unter anderem einen „Tag des offenen Kellers“ vor, bei dem Nachbarn, die sich bereits in vorbildliche Technik angeschafft haben, andere davon überzeugen.
Was will eigentlich die FDP?
Während die politischen Initiativen der Grünen leicht als Ideologie getrieben erkennbar sind, hat man bei der FDP den Eindruck, die hauen einfach mal raus, was ihnen beim Kiffen so eingefallen ist.
Böser Flächenfraß – guter Flächenfraß
„Flächenfraß stoppen!“ fordern DIE GRÜNEN seit Jahren. Sie wollen nicht, dass immer mehr Straßen, Gewerbegebiete und Neubausiedlungen in die Landschaft gebaut werden. Mit dem Slogan „Flächenfraß in Sachsen stoppen!“ wird man auf der Homepage des sächsischen Spitzenkandidaten begrüßt.
Diese Woche wurden in Sachsen das größte Solarkraftwerk Deutschlands eingeweiht. Flächenverbrauch 500 Hektar. Ein Kernkraftwerk benötigt ungefähr 20 Hektar und liefert fast die vierfache Menge Strom.
Teddy in Pink
Heute traf ich beim Hundespaziergang auf die Münchner CSD-Parade. In diesem Moment marschierte eingebettet zwischen den vielen Motivwagen von Unternehmen, Verbänden und staatlichen Institutionen ein Block DKP-Anhänger vorbei. Nach der ersten Verblüffung, dass es diesen Verein immer noch gibt, staunte ich über die Aufmachung. Neben Palästina-Fahnen wurden auch welche mit dem Konterfei Ernst („Teddy“) Thälmanns geschwenkt. Des Mannes, der – zuweilen zusammen mit den Nazis – die erste deutsche Demokratie bekämpfte und die KPD auf Kremlkurs zwang. Was suchen Islamismus-Freunde und Stalinismus-Nostalgiker auf einer Party-Demonstration für sexuelle Spezialitäten? Sind sie eine besondere Art Fetischisten? So wie Transvestiten, Ledermänner und Tierkostümträger? Und was machen die so in erotischer Hinsicht? Ich will’s mir lieber nicht vorstellen.
Kirchentagslied
Der 103. Deutsche Katholikentag ging gerade zu Ende. Anstatt mal einfach mal den Mund zu halten und still um Vergebung ihrer historischen und gegenwärtigen Verbrechen zu beten, machen Kuttenträger wieder auf dicke Hose. Die evangelische Konkurrenz nachäffend wanzen sie sich an den grünen Zeitgeist ran. Kirchentage der Lutheraner sind ja schon lange nicht mehr von Grünen Parteitagen zu unterscheiden. Außer, dass mehr gesungen wird. Doch es gibt da eine Schwachstelle, bei deren Beseitigung ich helfen möchte. Das Liedgut ist meist irgendwie veraltet und bringt den frischen klimarettend-postkolonial-intersektional-nonbinär-veganen Geist der deutschen Christenheit nicht mehr so richtig rüber. Mit meinem Kirchentagslied soll sich das ändern. Im Sinne der Nachhaltigkeit kann es zu Fasching bzw. Karneval auch als Büttenrede verwendet werden. Singen Sie mit!
Haltung zeigen, Zeichen setzten
Im Netz die anderen verpetzen
Täglich gegen rechts empören
Sich am Islamist nicht stören
Wenn Muslime Juden schlagen
Soll Israel die Schuld dran tragen
Bunter werden soll’s im Lande
Wer skeptisch bleibt, ist eine Schande
Wir sind die Besten in Moral
Retten das Klima und den Wal
Nur die schlimmsten Nazi-Lumpen
Kaufen keine Wärmepumpen
Das grüne Paradies, es naht
Mit Windrad und mit Kalifat
Wir sind jetzt alle schwer divers
Wer CIS bleibt, der ist doch pervers
Wer es nicht glaubt, der ist ein Ketzer
Wahrscheinlich Hasser und auch Hetzer
Kehrt um, kommt auf den grünen Pfad
Steigt mit uns auf das Lastenrad
Beim Denken fallt nicht aus dem Rahmen
Gut ist, was WIR glauben, Amen
…Omi darf auch nicht fehlen
Im Supermarkt lag diese Wahlwerbung in Form eines pseudo-kindlichen Briefes aus. Ein Produkt der Initiative „Omas for Future“, die vom Wirtschaftsministerium gefördert wird.
Wer auf die Seite klickt, die die Mitarbeiterinnen von „Omas for Future“ vorstellt, staunt: Die dort Abgebildeten sind entweder erstaunlich junge Omas und Opas, oder perfekt gephotoshopt. Wie dem auch sei: Allen, die Gudrun-Pausewang-Plattitüden mögen, sei die Website der „Omas“ wärmstens empfohlen. Schließlich mussten Omas schon immer falsch sentimentales Anschleimen über sich ergehen lassen. Zum Beispiel 1968:
Familienharmonie
Soziologen und Psychologen berichten, dass es lange nicht mehr so friedlich zuging zwischen den Generationen wie zurzeit. Jugendliche übernehmen die Ansichten ihrer Eltern. Junge erwachsen verlassen immer später da Elternhaus. In vielen Familien fällt die pubertäre Rebellion aus. Harmonie statt trotziger Fundamentalopposition. Als die Eltern-Kind-Konflikte noch die Reihenaussiedlungen erschütterten und es cool war, vor der Volljährigkeit das Nest zu verlassen, lautete ein viel gedruckter und gesprühter Spruch: „Wir sind die Leute, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben.“ Heute sah ich Plakate, mit denen die Jugendorganisation „Fridays for Future“ zu einer Demonstration aufruft, und staune nicht schlecht. „Mama ist immer erste Wahl,“ stand da. So einen Satz hätte nicht einmal der ärgste Streber in meiner Klasse von sich gegeben. Mit der „Mama“ ist „Mutter Erde“ gemeint, für deren Wohl man demonstrieren soll. Ich stelle mir gerade vor, in den 1970er-Jahren hätte einer „Mutti ist für den Marxismus!“ an die Schulwand gesprüht.
Hamas in Hamburg
Auf der Moorweide beim Bahnhof Dammtor, wo sich 1941 die Hamburger Juden einfinden mussten, um von dort deportiert zu werden, haben Hamas-Freunde nun einen Zeltplatz. Die Camper sind zum einen langbärtige Männer mit verschleierten Frauen und zum anderen bunthaarige Polit-Hipster diversen Geschlechts.
Teure Inseln
„Wohnungsnot an den Küsten,“ titelt heute der Deutschlandfunk, „Kommunen fordern Regierung zum Handeln auf.“ Laut eines Makler-Portals muss man für einen Quadratmeter auf den Ostfriesischen Inseln 7.443,- Euro hinblättern. Frankfurt ist billiger. Es scheint, dass weder die Regierung noch ARD und ZDF, „Fridays for Future“ oder „letzte Generation“ die Bevölkerungsgruppe der wohlhabenden Immobilienkäufer erreichen.
Sightseeing durchs eigene Leben
Frank Stern glaubte, dass man die DDR reformieren und einen freien, freundlichen Sozialismus aufbauen könne. Weil er das gelegentlich auch laut sagte, wurde der Magdeburger Student 1981 in der Universität verhaften und ins Gefängnis gesteckt. Nach zwei Jahren Haft beschloss die Staatssicherheit ihn gegen Westgeld in die Bundesrepublik zu entlassen. So verfuhr die DDR damals mit 32.000 unbotmäßigen Bürgern, für deren Freilassung die Bonner Regierung 3,3 Milliarden D-Mark zahlte.
Fast ein halbes Jahrhundert später besucht Stern die Handlungsorte seiner Kindheit und Jugend erneut: Campingplätze, Kasernen, Gefängnisse, Jugendclubs, Stätten bildungsträchtiger Schulausflüge. Er schaut sich an, was davon übrig blieb und erinnert sich. So ist eine ungewöhnliche Mischung entstanden aus launiger Reisereportage und autobiographischen Schlaglichtern. Die prägnante Kürze der Erinnerungen macht sie umso eindrucksvoller. Gerade noch schmunzelt man über Sterns spöttische Anmerkungen zur Architektur oder Anekdoten aus der jeweiligen Stadtgeschichte, schon wird man ohne Vorwarnung Zeuge, wie er nach dem Mauerfall den Stasi-Mann konfrontiert, der ihn monatelang verhörte.
Stern schildert ohne Bitternis, ohne Zynismus, ohne Larmoyanz seine Erfahrungen mit der Diktatur, an deren Verbesserungswürdigkeit er eine Jugend lang glaubte, um schließlich erst eingekerkert, dann rausgeschmissen zu werden. Im Gegenteil: Mit feiner Ironie zeigt er immer wieder, dass die Geschichte des Landes zwischen Ostsee und Erzgebirge zwar leidvoll war, aber durchaus auch komische Seiten hatte. Und das nicht erst seit dem Murksismus der SED, sondern schon zu Luthers Zeiten. Wer gern mal Städtetouren in die fünf östlichen Bundesländer unternehmen möchte, dem sei Sterns Buch als überaus kundiger Reiseführer empfohlen.
Einmal Osten und zurück
Streifzug durch mein fremdes Land
Telescope Verlag, Mildenau 2023
124 Seiten, 12,90 Euro
Pro-deutsche Demonstrationen
Neonaziaufmärsche werden jetzt im Deutschlandfunk und anderen seriösen Nachrichtensendungen „pro-deutsche Demonstrationen“ genannt. Nein, kleiner Scherz. Aber es wäre nur konsequent, denn die Demonstrationen von Hamas-Anhängern und Islamisten nennen die Nachrichtenredaktionen stets „pro-palästinensisch“. Wer sich diese Veranstaltungen einmal angesehen hat, fragt sich, wie diese Sprachregelung zustande kam. Denn die größtenteils jungen Männer machen keinen Hehl daraus, für was sie auf die Straße gehen: für die Vernichtung Israels. Daher trifft der im deutschen Journalismus ebenso gebräuchliche Euphemismus „israelkritisch“ ihr Anliegen auch nicht. Seit den 2010er-Jahren scheint irgendwie ausgemacht zu sein, dass es „Hass und Hetze“ nur von biodeutschen Rechtsradikalen geben kann. Menschen mit Migrationsgeschichte sind dazu wohl nicht fähig. Auch das ist eine Form von Rassismus.
Väter am Sonntag
Das typische Spießeridyll der 1950er- und 1960er-Jahre war der Papi, der am Sonntagvormittags hingebungsvoll das Auto wäscht, während Mutti drinnen den Sonntagsbraten in die Röhre schiebt. Vergangenen Sonntag sah ich die Wiederkehr dieser fast vergessenen Tradition: Ein Familienvater wusch vor der Haustür gemeinsam mit zwei Kindern das edle Cargobike. Mal sehen, ob das Schule macht.
Auch ich bin ein Flüchtling
Wenn in Europa die Kriterien des UN-Palästinenser-Hilfswerkes UNRWA gelten würden, wäre ich ein Flüchtling – sogar dreifach. Diese Erkenntnis verdanke ich einem Artikel von Christine Brinck in der WELT. Meine Großeltern mütterlicherseits flohen im Ersten Weltkrieg aus dem östlichen Polen, das damals zum Zarenreich gehörte, nach Pommern. Im Zweiten Weltkrieg floh die Restfamilie von Pommern nach Westen. Meine Eltern ließen sich in Berlin nieder, von wo sie 1950 wiederum abhauen mussten.
Nach dem Modus des UNRWA wären auch meine Kinder Flüchtlinge, deren Kinder usw. Allerdings hatte ich mein Leben lang nie den Gedanken, Flüchtling zu sein. Nicht einmal meine Eltern und Großeltern machten Aufhebens um ihren Heimatverlust, sondern schickten sich an, auf dem schnellsten Wege Teil der westdeutschen Gesellschaft zu werden.
1949 im ersten israelisch-arabischen Krieg wurden 750.000 Araber vertrieben oder verließen ihre Dörfer freiwillig. Mittlerweile hatten diese Menschen so viele Nachkommen, dass nun 5,7 Millionen als Flüchtlinge gelten. Allein den Palästinensern wird ein erblicher Flüchtlingsstatus zuerkannt. Sonst keinem der 30 Millionen aus ihren Heimatländern geflohenen, die es momentan auf der Welt gibt. Und leider auch mir nicht. Dabei hätte ich gar nichts gegen ein bisschen Kohle von der UN.
Gut gesagt (16)
„Es gibt gerechte Kriege, es gibt keine unschuldigen Armeen.“
Jorge Semprun
Leerformeln zum Gazakrieg
„Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen,“ lautet ein berühmtes Diktum von Karl Valentin, das auch auf die öffentliche Debatte über den Gazakrieg zutrifft. Seit dem 7. Oktober wird unentwegt und unter allen möglichen Aspekten darüber berichtet. Doch trotz der Fülle der Berichte und Kommentare gibt es „blinde Flecken“, Dinge, die so selbstverständlich scheinen, dass sie permanent wiederholt und nicht in Frage gestellt werden. Obwohl man sie durchaus in Frage stellen könnte.
Warum wird Israel dazu aufgerufen, durch eine Feuerpause oder einen Waffenstilstand, das Leid der Bevölkerung zu mildern? Schon klar, weil die Hamas eine Terrororganisation ist, die sich an keine Regeln hält und von der man ohnehin keine Humanität erwartet. Doch diese ständigen Appelle an Israel bewirken in manchen Köpfen eine Schuldumkehr. Ein guter Vergleich ist die Schlacht um Berlin 1945, die zwei Wochen dauerte, große Teile der Berliner Innenstadt zerstörte und viele Menschenleben kostete. Hätte man die Rote Armee zu einer Feuerpause auffordern sollen? Die Nazis hätten nur kapitulieren müssen und der Horror wäre vorbei gewesen. Das Gleiche gilt für die Hamas. Müssten die internationalen Apelle, insbesondere die der arabischen Staaten, nicht an die Hamas gehen, endlich zu kapitulieren? Dann wäre morgen Frieden.
Eine andere durchaus fragwürdige Formel, die in den Medien und von Politiker dauernd wiederholt wird, ist die von der „Staatsraison“, die es gebiete, Israel zu unterstützen. Gerade junge Menschen können damit wenig anfangen. Für mich klingt das immer ein bisschen wie, leider müssen wir Israel unterstützen, da es ja nun mal „Staatsraison“ sei. Jeder denkende Mensch fühlt sich nicht ernstgenommen, wenn ihm etwas damit begründet wird, weil es eben so ist. Das Rauchen in Gaststätten ist verboten, weil das Rauchen in Gaststätten verboten ist. Diese Begründung erkennt jeder als ziemlich dürftig. Wer über ein Minimum an Eigensinn und Kritikfähigkeit verfügt, empfindet die Warum-Frage damit weiterhin als unbeantwortet. Menschen, die keine Nahostexperten sind, haben ein Recht darauf erklärt zu bekommen, warum es richtig und geboten ist den Staat Israel in seiner Selbstverteidigung gegen totalitären Terror zu unterstützen – auch dann, wenn es keine „Staatsraison“ gäbe. Offen bleibt bei der Wiederholung der Staatsraison-Formel leider auch, ob das tatsächlich bedeutet, dass Deutschland Israel so verteidigt wie das eigene Land, also im Notfall auch mit deutschen Soldaten. Zweifel sind da angebracht.
Eine weitere unter Politikern beliebte Formel ist der Holocaust-Bezug. Hier wird es völlig aberwitzig. Israel muss demnach von Deutschland unterstützt werden, weil die Deutschen Millionen Juden ermordet haben. Quasi als Sühne. Auch dies leuchtet vielen jungen Menschen nicht ein, was ich gut verstehen kann. Ein falsches Argument kann man oftmals entlarven, indem man einmal das Gegenteil formuliert: Hätte die Deutschen nicht Million Juden ermordet, könnte uns Israel egal sein. Ist es nicht vielmehr so, dass Israel jegliche Hilfe verdient, weil es eine Insel der Freiheit und Demokratie in einem Meer totalitärer Militärdiktaturen, Königreiche und Theokratien ist, eine Frontlinie des Westens. Wäre Israel weniger unterstützungswürdig, wenn dort Mormonen oder Buddhisten lebten?
Ich weiß nicht, ob es anderen auch so geht, aber mir fallen diese Leerformeln zunehmend auf den Wecker. Es geht um einen Krieg, in dem viele Menschen sterben. Da wäre es angebracht, sich die Mühe zu machen, ein bisschen besser zu begründen auf welcher Seite Deutschland steht und warum.
Mitgehört im Humboldt Forum
Podiumsdiskussion zum Thema Bauernproteste. Teilnehmer: ein Landwirtschaftsminister (grün), eine Schriftstellerin und Nebenerwerbs-Bio-Winzerin (grün), ein Schriftsteller und Nebenerwerbs-Biolandwirt (ziemlich grün), eine Schriftstellerin, die aufs Land gezogen ist (dunkelgrün). Alle Teilnehmerinnen Teilnehmer schafften es bei jedem Wortbeitrag auf die schrecklichen Folgen des Klimawandels hinzuweisen. Der Klimawandel wurde als Ursache ausgemacht unter anderem für zu viel Regen, zu wenig Regen, Trockenheit, Kälte und Hitze. Die Nebenerwerbs-Winzerin beklagte, dass bereits ihre slowenische Großmutter gegen den Klimawandel ankämpfen musste (also offenbar schon vor dem von Menschen verursachten CO2-Anstieg). Mir kam dabei ein alter sowjetischer Witz in den Sinn: Was sind die vier Hauptfeinde der sowjetischen Landwirtschaft? Antwort: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Heute müssen die Jahreszeiten mit ihrem stets unzuverlässigen Wetterwandel als Beleg für die Schrecken des Klimawandels herhalten. Alle waren alle sich einig, dass es kaum mehr möglich sei, in Zeiten des Klimawandels dem Boden noch etwas Essbartes abzuringen. Gegen Ende der Diskussion bedauerte der Minister den Preisverfall beim Weizen. Ursache dafür seien Rekordernten. So tückisch kann der Klimawandel sein.
Datenschutz in Deutschland
Vor einiger Zeit wurde mir bei der Aufnahme in ein Krankenhaus ein Formular vorgelegt, dass ich dem Krankenhaus gestatte, den Befund meiner Hausärztin mitzuteilen. Auf meine verwunderte Nachfrage erfuhr ich, dass das Krankenhaus nicht ohne meine ausdrückliche Einwilligung mit meiner Hausärztin kommunizieren darf – aus Datenschutzgründen. Damals hielt ich das für den Gipfel des der deutschen Datenschutzirrsinns.
Jetzt weiß ich, es geht noch verrückter.
Als ich meinen Gaszählerstand der Firma Vattenfall per E-Mail übermittelte (an die einzige Vattenfall-E-Mail-Adresse, die im Netz zu finden ist), erhielt ich folgende automatische Antwort:
„Wir bitten um Verständnis, dass aufgrund der geltenden Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eine Weiterleitung Ihres Serviceanliegens zwischen den verschiedenen Unternehmenseinheiten von Vattenfall nicht stattfinden kann.“
Meine Prognosen für 2024
Der Jahreswechsel ist die Zeit der Prognosen. Wahrsagerinnen, Zukunftsforscher und Klimapropheten haben Konjunktur. Da will ich nicht abseitsstehen. Hier meine Vorhersagen für 2024…
- Nach dem Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine gibt Putin im Kreml sein Coming Out bekannt. Die Hochzeit mit Björn Höcke findet in der Basilius Kathedrale nach orthodoxem Ritus statt.
- Björn erkrankt an Heimweh, worauf ihm Wladimir verspricht, Thüringen zu annektieren. Da dies kurz vor den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg geschieht, verfehlt die AfD in allen drei Bundesländern die 5 Prozenthürde. Björn ist sauer. Wladimir verwirft seinen Annexionsplan.
- Der Erzengel Dschibril erscheint gleichzeitig in Gaza und auf der Sonnenallee in Neukölln und verkündet, dass Allah Jude ist. Daraufhin bricht zunächst große Verwirrung, dann Frieden im Nahen Osten aus.
- In Biblis erklärt Robert Habeck die Wiederinbetriebnahme deutscher Atomkraftwerke und den Bau von fünf neuen Öko-Kernkraftwerken.
- Die Grundwertekommission der SPD findet heraus, dass das „S“ in SPD für sozialdemokratisch steht, und dass es bereits eine andere Partei gibt, die die Interessen grüner Klientel vertritt. Ein Parteitag soll darüber beraten, was dies für die SPD bedeutet.
- Greta Thunberg und Luisa Neubauer kleben sich in Reykjavik fest. Doch dort interessiert sich niemand dafür und so sitzen sie tagelang in der Kälte. Dabei zerstreiten sich die beiden über die Frage, ob die Juden schuld an der Klimaerwärmung sind.
- Deutschrapper Kollegah gibt bekannt, dass er künftig als Frau gelesen werden will. Da die Mehrheit seiner Fans nicht lesen kann, kriegt es aber kaum jemand mit.
- Die Präsidentschaftswahl in den USA gewinnt Sarah Silverman.
…oder bin ich zu optimistisch?
Lesung „Einmal Freiheit und zurück“ auf YouTube
Villa Lessing, Saarbrücken, am 19.10.2023
Gut gesagt (15)
“Das Totalitäre kommt allmählich, Politik geschieht allmählich und nie plötzlich, und darum ist sie auch so schwer zu fassen, weil das Wesen nicht in jedem Moment sichtbar ist. Die Aufmerksamkeit dafür ist eine Strecke und nicht ein Punkt. Ich habe Angst, dass das Wissen darum schwindet. Auch in den liberalen Gesellschaften muss man sich bewusst sein, dass Demokratie nicht an und für sich und automatisch existiert. Sondern, dass jede Generation etwas neu dafür tun muss und auf ihre Weise und wahrscheinlich immer etwas anderes.”
Herta Müller
Augen zu und durch
Süddeutsche Zeitung und Deutschlandfunk bemühen jetzt Politikwissenschaftler, die die wachsende Zustimmung zur AfD damit erklären, dass die Medien zu viel über Probleme mit Migranten berichten. Sie sind der Meinung, die AfD würde schrumpfen, wenn man über Verbrechen von Einwanderern schweigt. Es scheint für sie nebensächlich zu sein, dass der hohe Anteil junger Männer aus muslimischen Ländern bei Gewalttaten längst statistisch erwiesen ist, es sich bei Berichten also nicht um aufgebauschte Einzelfälle handelt. Originellerweise übernehmen diese Expertinnen und Experten damit eine typische AfD-These: Die Medien sind an Allem schuld! Nur in umgekehrter Form, denn aus Sicht von Weidel und Co. werde zu wenig über migrantische Kriminalität berichtet.
Vor noch nicht allzu langer Zeit war es typisch rechts, unangenehme Wahrheiten auszublenden. In Nachkriegsjahren und noch lange danach wurde über die Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus eisern geschwiegen. Auch Probleme wie Männergewalt gegen Frauen und Kinder in Familien wurden von Rechten und Konservativen tabuisiert. Jetzt sind es die Woken und ihre akademischen Sympathisanten, die über Mord, Totschlag und Vergewaltigung nicht sprechen wollen. Vermutlich ist gerade dies der beste Dünger für die AfD.
Zur Erinnerung zwei Zitate linker Leitfiguren: „Alle politische Kleingeisterei besteht im Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist,“ schrieb Ferdinand Lassalle. Und von Rosa Luxemburg stammt der berühmte Satz: „Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat.“
Wenn aus Werbesprüchen Wahrheit spricht…
„Nachhaltig ist das neue Profitabel.“
Aktueller Reklamespruch der Firma PricewaterhouseCoopers GmbH
Experten für Sündhaftes
Gerade lief im RBB-Radio eine Sendung über die Zukunft der Fleischproduktion. Gleich zu Anfang erklärten beide Moderatoren, sie seien Vegetarier. Wie in früheren Zeiten, als die Pfarrer noch glaubten, ihre Meinung zur Sexualität sei gefragt.
Mitgehört in einer Berliner Apotheke
Die Apothekerin scannt den Barcode auf der Globuli-Packungen einer Kundin. Diese beschwert sich, dass das Scannen die Wirkung der Homöopathie beeinträchtige. Die Apothekerin wiegelt ab: „Die Packungen wurden beim Transport gescannt und auch schon in der Herstellerfirma.“ Missmutig murmelnd nimmt die Dame ihren nun dreifach gescannten Globuli entgegen.
Mitgehört in der Moabiter Markthalle
Zwei Herren in der Mittagspause. Sie unterhalten sich über den hohen Krankenstand in der Berliner Verwaltung und entwickeln einen Lösungsvorschlag: „Es müsste Prämien geben für alle, die nicht krank sind.“ Es klang nicht ironisch.