Die verdrängten Bio-Toten

Von Michael Miersch

Vor ein paar Tagen suchte ich im Internet aktuelle Artikel, die auf den Atomunfall von Fukushima vor zehn Jahren zurückblicken. Google bot mir Tausende an. Danach bemühte ich mich, Medienberichte über die Masseninfektion durch EHEC-Bakterien im Jahr 2011 zu finden. Etwa ein Dutzend konnte ich entdecken. Wie erklärt sich diese sehr unterschiedliche Wahrnehmung? Nach dem Unfall im japanischen Atomkraftwerk wurden laut dem Wissenschaftlichen Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen atomarer Strahlung (UNSCEAR) keine strahlungsbedingten Todesfälle oder akuten Erkrankungen beobachtet. In Deutschland führte die 9.000 Kilometer entfernte Havarie zu keinerlei gesundheitlichen Folgen. Die EHEC-Verseuchung war die größte Lebensmittelkatastrophe seit Bestehen der Bundesrepublik. 53 Menschen starben, 4.000 erkrankten, darunter mehr als 800 mit der besonders schweren Verlaufsform HUS (Hämolytisch-Urämisches Syndrom). Ursache waren Bio-Salatsprossen. Daran mag sich fast keiner erinnern. Denn in Deutschland weiß man, Atomkraft ist gefährlich und Biokost ist gesund. Als am 22. Juni 2021 Agrarministerin Klöckner das zwanzigjährige Jubiläum des staatlichen Bio-Siegels feierte, wurde die Katastrophe von 2011 nicht erwähnt.