Kartoffel

Von Michael Miersch

Mal abfällig, mal freundlich-ironischer Begriff für Deutsche ohne Migrationshintergrund. Wobei man sich fragt, ob die Knollenfrucht als Symbol glücklich gewählt wurde. Denn schließlich hat sie selbst Migrationshintergrund und kam aus Amerika über Spanien und die Niederlande nach Deutschland. Damals ohne Risikoanalyse. Die Vorbehalte der kartoffelskeptischen Bauern erinnern an die heutigen Ressentiments gegen Pflanzengentechnik.

Schließlich haben die Fürsten die Ami-Knolle gegen den bäuerischen Widerstand durchgesetzt, und sie wurde ein beliebtes Nahrungsmittel. Heute kennt man sie auf der ganzen Welt. Deutschland nimmt einen bescheidenen sechsten Platz unter den Kartoffelnationen ein. Nummer eins ist China gefolgt von Indien. Mehr Migrationshintergrund geht kaum.

Gerade dies prädestiniert die Kartoffel als Charakterisierung der Deutschen. Denn die alteingesessene Bevölkerung zwischen Flensburg und Berchtesgaden stammt größtenteils nicht von germanischen Stämmen ab, sondern hat migrantische Wurzeln. Kaum ein Volk der Erde ist so bunt gemischt. Völkerwanderung, Eroberun, Besatzung (von den Römern bis zur Roten Armee), Vertreibung und immer wieder Kriegesorgten dafür, dass nur noch die wenigsten Bewohner der Mitte Europas Abkömmlinge von Teutonen, Kimbern, Cheruskern  sind. So betrachtet sind die Deutschen tatsächlich die Kartoffeln unter den Völkern.

Eines von 99 Stichwörtern aus dem Buch…

„Schöner Denken 2“

von Josef Joffe und Michael Miersch

Edition Tiamat

120 Seiten