Leerformeln zum Gazakrieg

Von Michael Miersch

„Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen,“ lautet ein berühmtes Diktum von Karl Valentin, das auch auf die öffentliche Debatte über den Gazakrieg zutrifft. Seit dem 7. Oktober wird unentwegt und unter allen möglichen Aspekten darüber berichtet. Doch trotz der Fülle der Berichte und Kommentare gibt es „blinde Flecken“, Dinge, die so selbstverständlich scheinen, dass sie permanent wiederholt und nicht in Frage gestellt werden. Obwohl man sie durchaus in Frage stellen könnte.

Warum wird Israel dazu aufgerufen, durch eine Feuerpause oder einen Waffenstilstand, das Leid der Bevölkerung zu mildern? Schon klar, weil die Hamas eine Terrororganisation ist, die sich an keine Regeln hält und von der man ohnehin keine Humanität erwartet. Doch diese ständigen Appelle an Israel bewirken in manchen Köpfen eine Schuldumkehr. Ein guter Vergleich ist die Schlacht um Berlin 1945, die zwei Wochen dauerte, große Teile der Berliner Innenstadt zerstörte und viele Menschenleben kostete. Hätte man die Rote Armee zu einer Feuerpause auffordern sollen? Die Nazis hätten nur kapitulieren müssen und der Horror wäre vorbei gewesen. Das Gleiche gilt für die Hamas. Müssten die internationalen Apelle, insbesondere die der arabischen Staaten, nicht an die Hamas gehen, endlich zu kapitulieren? Dann wäre morgen Frieden.

Eine andere durchaus fragwürdige Formel, die in den Medien und von Politiker dauernd wiederholt wird, ist die von der „Staatsraison“, die es gebiete, Israel zu unterstützen. Gerade junge Menschen können damit wenig anfangen. Für mich klingt das immer ein bisschen wie, leider müssen wir Israel unterstützen, da es ja nun mal „Staatsraison“ sei. Jeder denkende Mensch fühlt sich nicht ernstgenommen, wenn ihm etwas damit begründet wird, weil es eben so ist. Das Rauchen in Gaststätten ist verboten, weil das Rauchen in Gaststätten verboten ist. Diese Begründung erkennt jeder als ziemlich dürftig. Wer über ein Minimum an Eigensinn und Kritikfähigkeit verfügt, empfindet die Warum-Frage damit weiterhin als unbeantwortet. Menschen, die keine Nahostexperten sind, haben ein Recht darauf erklärt zu bekommen, warum es richtig und geboten ist den Staat Israel in seiner Selbstverteidigung gegen totalitären Terror zu unterstützen – auch dann, wenn es keine „Staatsraison“ gäbe. Offen bleibt bei der Wiederholung der Staatsraison-Formel leider auch, ob das tatsächlich bedeutet, dass Deutschland Israel so verteidigt wie das eigene Land, also im Notfall auch mit deutschen Soldaten. Zweifel sind da angebracht.

Eine weitere unter Politikern beliebte Formel ist der Holocaust-Bezug. Hier wird es völlig aberwitzig. Israel muss demnach von Deutschland unterstützt werden, weil die Deutschen Millionen Juden ermordet haben. Quasi als Sühne. Auch dies leuchtet vielen jungen Menschen nicht ein, was ich gut verstehen kann. Ein falsches Argument kann man oftmals entlarven, indem man einmal das Gegenteil formuliert: Hätte die Deutschen nicht Million Juden ermordet, könnte uns Israel egal sein. Ist es nicht vielmehr so, dass Israel jegliche Hilfe verdient, weil es eine Insel der Freiheit und Demokratie in einem Meer totalitärer Militärdiktaturen, Königreiche und Theokratien ist, eine Frontlinie des Westens. Wäre Israel weniger unterstützungswürdig, wenn dort Mormonen oder Buddhisten lebten?

Ich weiß nicht, ob es anderen auch so geht, aber mir fallen diese Leerformeln zunehmend auf den Wecker. Es geht um einen Krieg, in dem viele Menschen sterben. Da wäre es angebracht, sich die Mühe zu machen, ein bisschen besser zu begründen auf welcher Seite Deutschland steht und warum.