Klima-Graffiti an einem Berliner Balkon (Foto: M. Miersch)

Darüber spricht man nicht

Von Michael Miersch

Putins Gas ist für Deutschland nur deshalb so essenziell, weil die Regierungen seit Helmut Kohl die einst resiliente Energieversorgung demontierten. Doch viele tun so, als habe die Knappheit rein gar nichts mit der Energiewende zu tun.

Nicht nur in Familien gilt, Themen, über die nie gesprochen wird, sind meistens besonders gewichtig. In der aktuellen Debatte um Energieknappheit fällt auf, dass kaum ein Journalist oder Politiker eine Tatsache ausspricht, die zum Verständnis der misslichen Lage einfach dazugehört: Deutschland hatte eine funktionierende Energieversorgung, die in wesentlich geringerem Maße als heute von Rohstoffimporten aus einem einzelnen anderen Staat abhängig war. Diese stabile Energieversorgung wurde von Kohl über Schröder bis Merkel bewusst und willentlich stillgelegt, ohne dass ein gleichwertiger Ersatz zur Verfügung stand. Weil Solar- und Windkraftanlagen nicht grundlastfähig sind, setzten die Regierungen auf Gaskraftwerke als Übergangstechnologie, da diese weniger Kohlendioxid (CO2) emittieren als Kohlekraftwerke. Allerdings wurde die Gewinnung von Schiefergas (Fracking), das im eigenen Land vorhanden ist oder zumindest von weniger problematischen Staaten gekauft werden könnte, von vornherein ausgeschlossen. Seit dem Atomunfall von Fukushima 2011 war es dann parteiübergreifender Konsens, dass auch die CO2-neutralen Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Für diese politisch gewollte Zerstörung einer funktionierenden Energieversorgung gab es keine ökonomischen oder andere konkret fassbaren Gründe. Sie wurde aufgrund zweier Annahmen in die Tat umgesetzt: Erstens, die Annahme Atomkraft sei so gefährlich, dass es unverantwortlich wäre, sie weiterhin zu nutzen. Zweitens, die Worst-Case-Prognosen und Szenarien prominenter Klimaforscher werden eintreffen, wenn sich Deutschlands nicht sofort von allen fossilen Energieträgern verabschiedet. Wozu noch die dritte Annahme gehört, dass die deutsche Energiewende Einfluss auf das Weltklima haben würde. Wenn diese Annahmen richtig sind, war die Beseitigung der alten Energiesicherheit gerechtfertigt. Denn um die Welt vor dem Untergang und die Deutschen vor dem sicheren Strahlentod zu retten, wäre kein Opfer zu groß.

Doch warum wird so selten erwähnt, dass es einmal eine stabile Energieversorgung gab und kein blindes Schicksal sie zerstörte, sondern politischer Wille? Allerdings ein politischer Wille, der nicht nur von fast allen großen Medien getragen wurde, sondern auch von einem Großteil der Bevölkerung. Stattdessen klingen die meisten Beiträge in Parlament, Zeitungen, Radio und Fernsehen so, als sei allein Putins Krieg schuld an dem Energiedilemma. Dass der Autokrat durch Rohstoffverknappung eine so große Wirkung erzielt, liegt zu einem nicht geringen Teil an der Selbstdemontage Deutschlands. Darüber könnte man einmal ehrlich und selbstkritisch reflektieren. Aber es ist wie in Familien, über die richtig peinlichen Dinge spricht man lieber nicht.