Sekundenkleber ist neben Kartoffelpüree und Tomatensoße eines der Protestmittel von "Letzte Generation"

Bitte beachten Sie beim Weltuntergang die StVO!

Von Michael Miersch

Die Gruppe „Letzte Generation“ wird für ihre Mittel kritisiert. Warum eigentlich nicht für ihre Zwecke?

Seit einigen Tagen liest man viel Kritik an den Aktionen der Gruppe „Letzte Generation“. Zweierlei ist dabei auffällig. Erstens: Wie viele Mitglieder und Unterstützer diese Bewegung hat, bleibt fast immer unerwähnt. Auf Fotos sind stets nur einige Dutzend Aktivisten zu sehen. Ich fand einen Artikel, in dem von 80 Mitgliedern die Rede ist. Weitere Angaben zur Anhängerschaft entdeckte ich nicht. Zahlen sind jedoch entscheidend für die Beantwortung der Frage, wie die Gesellschaft mit Protesten umgehen soll. Repräsentiert „Letzte Generation“ einen relevanten Prozentsatz der Bevölkerung, müssten Politiker und Medien sich mit den Forderungen ernsthaft befassen. Ist es nur eine Sekte mit ein paar Hundert Anhängern, dann wäre die mediale und politische Aufmerksamkeit vollkommen überdimensioniert.

Und noch eine zweiter Gleichklag der Berichterstattung fällt auf. Das Anliegen der Aktivisten wird so gut wie nirgends durch Recherche überprüft. Der Zweck ist gut, aber die Mittel falsch, tönt es aus allen Kanälen. Verständnis für „die jungen Menschen“ wird in salbungsvolle Formulierungen gepackt.

Das Ziel von „Letzte Generation“ ist es den Klimawandel anzuhalten, da eine weitere Erwärmung den Planten zerstören würde. Politiker und Journalisten, die dies für eine Tatsache halten, sollten „Letzte Generation“ unterstützen, statt sie zu kritisieren. Denn wenn tatsächlich der Weltuntergang droht und nur noch mit drastischen Mitteln aufzuhalten wäre, dann ist jede Aktion gerechtfertigt und Nichtstun ein Verbrechen. Wenn die Menschheit sofort gerettet werden muss, darf man sich nicht darüber mokieren, dass zu diesem Zweck der Straßenverkehr lahmgelegt wird.

Würden Politiker und Journalisten sich bequemen zu recherchieren, ob der Weltuntergang tatsächlich bevorsteht, dann müssten sie auch das Anliegen von „Letzte Generation“ kritisieren und nicht nur die Methoden. Sie könnten bemerken, dass die apokalyptischen Endzeitvisionen zwar von den allermeisten Journalisten, jedoch von wenigen Klimaforschern geteilt werden. Bereits ein Blick in die Erdvergangenheit genügt, um die Hypothese vom drohenden planetare Desaster in Zweifel zu ziehen. Klimaerwärmungen der Vergangenheit erleichterten die Lebensbedingungen für Menschen und Natur in vielen Weltregionen (darunter Europa), in anderen wirkten sie lebensfeindlich. Richtig schlecht für fast alle waren nur die Eiszeiten.

Bleibt die Frage, ob die Forderungen von „Letzte Generation“ die derzeitige Klimaerwärmung stoppen könnten. Auf ihrer Website (Stand 2.11.2022) fordert die Gruppe Folgendes: Tempolimit auf deutschen Autobahnen (was ich völlig richtig finde). Verbilligung der öffentlichen Verkehrsmittel (finde ich ebenfalls prima) und Schuldenerlass für den sogenannte „Globalen Süden“. Das ist zumindest eine diskussionswürdige Forderung.

Aber hätten die drei Komponenten eine Wirkung aufs Klima? 1,85 Prozent beträgt der deutsche Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß. Ein Tempolimit und billigere Bahnen und Busse könnten eventuell eine paar Stellen hinter dem Komma verändern. Klimarelevant wäre das nicht. Würde der „Globale Süden“ das durch einen Schuldenerlass eingesparte Geld in Windkraft und Solaranlagen investieren und auf die Nutzung von Kohle, Öl und Gas verzichten? Auch diese Annahme überzeugt nicht wirklich. Mit etwas Recherche und ein klein wenig Nachdenken, kommt man schnell zu dem Schluss, dass die Prämissen von „Letzte Generation“ falsch sind und die Erfüllung ihrer Forderungen am Klima nichts ändern würde.

Zu Ende gedacht besagt der Standpunkt der politischen Kommentatoren: Man solle angesichts des Weltuntergangs doch bitte die Straßenverkehrsordnung beachten. Das Komische daran fällt offenbar niemandem auf.