Diesen Monat wird in vielen Leitmedien 50 Jahre „Die Grenzen des Wachstums“ gefeiert. Dass die Autoren radikal irrten und der Aufruf zum Verzicht von Superreichen stammte, stört dabei nicht.
In Artikeln über die Zeugen Jehovas fehlt selten der Hinweis, dass die christliche Sekte viermal den Weltuntergang mit Datum verkündete – und viermal daneben lag. Texte über Erich Honecker zitieren gern seine Falschprognose, die Mauer würde noch in 100 Jahren bestehen. Und kaum einer, der über den Trendforscher Matthias Horx schreibt, verkneift es sich, dessen missglückte Vorhersage zu zitieren, das Internet werde kein Massenmedium. Es ist nicht nett, so etwas immer wieder hervorzuholen. Aber es sind hilfreiche Informationen für Leserinnen und Leser, die die Glaubwürdigkeit solcher Propheten einschätzen möchten. Manche Propheten jedoch werden von jeglicher Kritik verschont und über die Jahrzehnte als große Geister gefeiert, obwohl sie gründlich irrten.
Im März 2022 jährte sich zum 50. Mal das Erscheinungsdatum des Weltbestsellers „Die Grenzen des Wachstums“, herausgegeben vom Club of Rome, der damit schlagartig berühmt wurde und seither unermüdlich Symposien, Konferenzen und Kongresse an schönen Orten dieser Welt zusammenruft. Das überaus folgenreiche Buch wurde in 37 Sprachen übersetzt, erreichte eine Millionenauflage und markiert einen kulturellen Paradigmenwechselt: das Ende des Fortschrittsoptimismus der Nachkriegszeit und den Beginn einer Weltsicht, die ökonomisches Wachstum mit Umweltzerstörung gleichsetzt. Es war die Geburt des grünen Denkens, das seither insbesondere in Deutschland den Zeitgeist prägt.
Zum Jubiläum erschienen Würdigungen in vielen Medien. Doch ein Hinweis darauf, dass das berühmte Buch ein Kompendium von Fehlprognosen ist, fehlt in fast allen Texten. Stattdessen wird die Weisheit und Weitsicht des Autors Dennis Meadows gehuldigt. Er habe der Menschheit die Augen für die drängenden Umweltprobleme geöffnet. Auf der Website der Tageschau schrieb eine Laudatorin: „Ziel dieses Berichts war es weniger, Prognosen für die Zukunft zu geben.“ Eine originelle Behauptung über ein Buch, in dem es vornehmlich um Prognosen ging. Vorsichthalber bleibt sie mit ihrem Lob so unkonkret wie es nur geht: „Die Grundausrichtung der damaligen Studie wurde seit 2008 mehrmals wissenschaftlich als richtig bestätigt.“ Übertragen auf die Zeugen Jehovas könnte man auch schreiben, dass ihre „Grundausrichtung“ durchaus christlich ist. Wie kann es sein, dass ein Buch voller falscher Vorhersagen aberwitziger Empfehlungen 50 Jahre später immer noch als Meisterwerk gefeiert wird? Das gehört zu den Geheimnissen deutscher Leitmedien.
Der sensationelle Erfolg von 1972 hat viel mit Fiat, VW und dem Zeitgeist zu tun. „Die Grenzen des Wachstums“ war der erste der vielen Berichten des Club of Rome und blieb bis heute der bekannteste. Wer Club of Rome hört, denkt automatisch an dieses Buch. Alles begann 1968 als der italienische Industrielle Aurelio Peccei und der britische OECD-Funktionär Alexander King eine Runde angesehener Naturwissenschaftler und Ökonomen in der Accademia dei Lincei in Rom versammelten. Peccei war Spitzenmanager bei Fiat und hatte seinen Chef Agnelli davon überzeugt, die Versammlung zu finanzieren. Doch das Treffen war ein Flop, die Koryphäen diskutierten wild durcheinander und konnten sich auf nichts einigen. Peccei und King blieben hartnäckig. Bei einem zweiten Treffen konnte sich die Runde darauf verständigen, ein computergestütztes Weltmodell in Auftrag zu geben, dass die Zukunft des Planeten berechnen sollte. Wieder bezahlte ein Autokonzern die Rechnung. Die nötige Million Deutsche Mark besorgte Club-Mitglied Eduard Pestel, der später Wissenschaftsminister von Niedersachsen wurde und über gute Kontakte zur Volkswagenstiftung verfügte.
Vier Jahre später wurde das Weltmodell veröffentlicht. Einer der bekanntesten Buchtitel des 20. Jahrhunderts war geboren: „Die Grenzen des Wachstums“. Junge Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology hatten den Bericht unter Leitung von Dennis Meadows erarbeitet. Die zugrunde liegende Computersimulation hieß „World3-Modell“. Für damalige Verhältnisse war die Rechnerleistung sensationell, gemessen an heutige Möglichkeiten bescheiden. Die Studie sagte ein globales Desaster voraus, das bis zum Ende des 20. Jahrhunderts eintreten werde. Alle wichtigen Rohstoffe würden erschöpft sein oder extrem knapp werden. Außerdem werde die Menschheit an Überbevölkerung, Nahrungsmangel und Umweltverschmutzung zu Grunde gehen. Das Gegenteil trat ein: Bis zum Jahr 2000 fielen die Preise fast aller wichtiger Ressourcen. Sie waren nach wie vor reichlich vorhanden. In den Industrienationen wurde die Umweltverschmutzung entschieden bekämpft. Das Bevölkerungswachstum verlangsamte sich erheblich. Kein Thema in dem allseits bewunderten Werk war übrigens das Klima. Das heutige Globalthema Nummer Eins, gehörte damals noch nicht zu den heiß diskutierten Umweltproblemen. Zwar gab es auch schon 1972 eine paar besorgte Klimawissenschaftler. Die warnten damals jedoch von globaler Abkühlung und waren medial bei Weitem nicht so präsent wie ihre heutigen Kollegen.
Dass die Modelle des Club of Rome von der Wirklichkeit widerlegt wurden, lag daran, dass die Grundannahmen, von denen man ausging, sich viel schneller änderten als gedacht. Meadows hatte die positiven Folgen des technischen Fortschritts bei Weitem unterschätzt. Er empfahl, die Industrieproduktion auf dem Stand der 1970er-Jahre anzuhalten, um einen Zustand weltweiten Gleichgewichts herzustellen. Doch in der Realität bewirkte ökonomische Wachstum, dass in vielen Ländern die Massenarmut zurückgedrängt wurde. In Folge konnten es sich immer mehr Staaten leisten, in den Umweltschutz zu investieren. Computer erhöhten in fast allen Industrien die Effizienz, dadurch reduzierte sich der Rohstoff- und Energieverbrauch. Doch ein Eingeständnis des Clubs, dass man falsch gelegen hatte, kam nie, auch keine Revision der Prognosemethoden. 2006 brachte Meadows mit Gleichgesinnten das 30-Jahre-Update von „Die Grenzen des Wachstums“ heraus. Darin wird weiterhin das Lied vom Untergang gesungen. Allerdings verschob man die Apokalypse nach hinten. Man sei „weitaus pessimistischer bezüglich der Zukunft der Erde, als wir es noch 1972 waren,“ schrieben die Autoren. Bezüglich ihres Computermodells heißt es im Update, „dass World3 nicht völlig absurd war; die Annahmen dieses Modells und unsere Schlussfolgerungen verdienen heute noch Beachtung.“ So kann man es auch ausdrücken.
„Menschheit am Scheideweg“ hieß der zweite Club-Of-Rome-Report (1974), der zwar nicht die dauerhafte Berühmtheit des ersten erreichte, aber damals ähnlich viel Beachtung fand. Autoren waren diesmal Eduard Pestel, der Mechanikprofessor aus Hannover, der wiederum bei VW das Geld besorgt hatte und der Mathematiker Mihailo Mesarovic von der Universität Cleveland. Der zweite Report enthielt ebenfalls jede Menge apokalyptischer Prognosen. So sagten die beiden Verfasser eine Milliarde Hungertote in Südasien voraus. Die asiatische Mega-Hungerkatastrophe sollte in den achtziger Jahren beginnen und im Jahr 2010 ihren Höhepunkt erreichen: „Für diese Art langsamer, unerbittlicher Zerstörung der Bevölkerung einer ganzen Weltregion gibt es keinen historischen Präzedenzfall.“ Doch statt wie angekündigt zu verhungern, nahmen die Asiaten lieber ihren ehemaligen Kolonialmächten die Märkte ab und setzten auf Wirtschaftswachstum. Gemäß Club of Rome der völlig falsche Weg. „Das undifferenzierte, krebsartige Wachstum ist die eigentliche Ursache der Probleme.“ Pestel und Mesarovic forderten die Abkehr von der „Wachstums-Ideologie“, eine Umorientierung der Wirtschaft auf die realen Bedürfnisse der Menschen und eine neue „Konsum-Ethik“. In einem späteren Buch schrieb Pestel, man müsse auf die Einsicht hinwirken, „dass materielles Wachstum und somit das Wachstum des Bruttosozialprodukts auf die Dauer unmöglich ist.“ Als Ausweg aus der Misere empfahl er ein „System zukunftsbezogener Zielvorstellungen“ und „langfristiger Planungsinstrumente.“
Auch Club-Gründer Peccei hieb mit seinem Buch „Zukunft, in unserer Hand“ in die gleiche Kerbe. Er verdammte die „anarchische wissenschaftlich-technische Entwicklung“ und „das Nicht-Vorhandensein von Plänen.“ „Für den Anfang,“ schrieb er, „bräuchte es einen globalen Bebauungsplan für die großen Regionen der Erde.“ Tief beeindruckt von den Prognosen des Clubs forderte der Wirtschaftskommissar der damaligen EWG (heute EU), der Niederländer Sicco Mansholt, eine „strenge Planwirtschaft,“ „Rationierung“ und den Aufbau eines „sauberen Produktionssystems auf der Grundlage eines geschlossenen Wirtschaftskreislaufs.“ Liest man solche Traktate aus heutiger Sicht, gewinnt man den Eindruck, damals seien Kommunisten am Werk gewesen. Doch die Mitglieder des handverlesenen Clubs – es dürfen laut Satzung nicht mehr als 100 sein – waren und sind alles andere als Linke. In Pecceis Villa wurden Gäste von Butlern mit weißen Handschuhen bedient. Es ist der internationale Geldadel, der so vehement Planwirtschaft und Wachstumsstopp propagiert.