Auf der Karl-Popper-Straße ist die Zukunft offen - und nicht nur dort (Foto: M. Miersch)

Die Tücke des Konsenses

Von Michael Miersch

Während wir uns beim Thema Covid-19 langsam an die Unsicherheit von Vorhersagen gewöhnen, gelten Klimaprognosen weiterhin als sakrosankt

Wie gut schützen Masken? Kann man trotz Impfung erkranken? Steht eine weitere Welle bevor? Und wenn ja, wann? Wie gefährdet sind Kinder? Wie akkurat sind die Statistiken der Ämter und welche Schlüsse kann man aus ihnen ziehen? Auf alle diese Fragen gab es in den vergangenen zwei Jahren völlig verschiedene Antworten. Und zwar nicht nur von Querdenkern, Zero-Covid-Aktivisten, sensationshungrigen Journalisten und verunsicherten Politikern, sondern von angesehenen Virologen und Epidemiologen.

Im Laufe der Covid-19-Pandemie haben viele Menschen staunend bemerkt, dass auch Koryphäen vieles nicht wissen und etliche Erkenntnisse unter den Experten umstritten sind. Die Datenlage weist Lücken und Widersprüche auf. Das Virus hält sich nicht an Prognosen. Welche Maßnahme wie wirkt, kann schlecht vorhergesehen werden. All dies ist völlig normal. Wissenschaft bedeutet, sich nach vorne zu irren. Doch ein realistisches Bild von Wissenschaft ruft bei vielen Menschen Enttäuschung und sogar Aggression hervor.

Auch Journalisten fokussieren lieber auf einen vermeintlichen Konsens und vermeiden es, Widersprüche zu thematisieren. Dieser Verdacht wurde im November 2021 von Medienforschern der Gutenberg-Universität Mainz und der LMU München empirisch untermauert. Sie legten eine Analyse der Artikel und Sendungen deutscher Leitmedien zur Pandemie vor. „Als negativ vermerken die Medienwissenschaftler,“ berichtete Die Welt, „dass die Unsicherheiten von Prognosen…nicht ausreichend transparent gemacht wurden. Stattdessen seien Prognosen häufig als gesichert dargestellt worden…Rund 90 Prozent der Beiträge, die sich mit den Erkenntnissen der Wissenschaft beschäftigten, hätten den wissenschaftlichen Konsens hervorgehoben, nur in zehn Prozent sei es um den wissenschaftlichen Dissens gegangen.“

Der Versuch einen nicht vorhandenen Konsens zu konstruieren, ist durchaus verständlich, denn in den vergangenen Jahren taten viele Aktivisten und Politiker so, als gäbe es die Wissenschaft, die in die Zukunft blicken kann, alles ganz genau weiß und deren Vertreter sich darüber bis ins Detail völlig einig sind. Besonders beim Thema Klimawandel wagt kaum noch einer darauf hinzuweisen, dass Vorhersagen von Experten durchaus nicht immer eintreffen. Wofür es viele Beispiele aus der Vergangenheit gibt. Auch wissenschaftliche Prognosen basieren auf lückenhaften Daten, Annahmen und vereinbarten Prämissen. „Alle Experten sind Experten der Vergangenheit. Zukunftsexperten gibt es nicht,“ brachte David Ben-Gurion das Dilemma auf den Punkt.

Doch der Gedanke, dass die Unsicherheit, die in der Pandemie so deutlich wurde, auch für die Klimavorhersagen gelten könnte, dringt bis heute nicht in die Öffentlichkeit. Während es beim Thema Covod-19 für jeden offensichtlich geworden ist, dass Wissenschaft keine ewigen Wahrheiten verkündet, wird beim Klima immer noch so getan, als wüssten die Forscher genau in welchem Zustand sich die Erde in 100 Jahren befinden wird. Dabei ist das globale Klimageschehen noch komplexer als der Verlauf einer Pandemie. Immer noch werden Prognosen als Tatsachen dargestellt, Hypothesen als gesichertes Wissen präsentiert und jedes Unwetter dem Klimawandel zugeschrieben. Egal wie gut in den Chroniken dokumentiert ist, dass es sich um altbekannte Ereignisse handelt (wie zuletzt bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal). Politiker reden über das Pariser 1,5-Grad-Ziel so, als gäbe es ein Thermostat für das Weltklima, das man exakt justieren könne.

Wir haben nichts Besseres als Wissenschaft, um uns in der Welt zu orientieren. Wenn man so tut, als sei Wissenschaft allwissend, erklärt man sie zur Religion. Das nützt den Aktivisten und den Industrien, die uns vermeintliche Lösungen für das Klimaproblem verkaufen. Dem Ansehen der Wissenschaft fügt es weiteren Schaden zu.