Ein Alptraum über den Untergang linker Gesellschaftskritik
Kürzlich träumte ich, es gäbe einen im Geheimen agierenden Mastermind des Kapitalismus. So einen Megabösewicht wie Blofeld, Dr. No oder Goldfinger in James Bond Filmen. Sein Ziel: die Zerstörung der Linken. Dafür hat er ein riesiges Elektronengehirn bauen lassen, das seit Jahren an nur einer Aufgabe rechnet: Wie könnte man Menschen abbringen vom Kampf für Freiheit und ein besseres Leben? Aber so raffiniert, dass sie es nicht merken.
Zufällig war ich gerade in dem Moment zu Besuch bei dem Schurken, als sein Computer den ersten Vorschlag präsentierte. Mit seidenweicher Stimme empfahl er seinem Meister: „Fördern Sie die Klimapanik!“. Verblüfft von dieser offenbar irren Idee schwieg ich zunächst, um der Begründung zuzuhören. „Nehmen Sie als Basis die physikalischen Fakten,“ erläuterte die Künstliche Intelligenz. „Das verleiht der Sache Glaubwürdigkeit und einen wissenschaftlichen Anstrich. Dann blasen Sie die Fakten mit Prognosen auf, die den Klimawandel als Apokalypse unvorstellbaren Ausmaßes erscheinen lassen. Prognosen kann niemand nachprüfen.“
„Wieso Klima?“, fragte ich. „Das ist doch ein gutes Thema für Linke. Es geht darum die Menschheit zu retten.“ „Genau,“ antwortete die Maschine, in einem gebieterischen Tonfall. „Die Menschheit, das sind alle, der Arme und der Reiche, der Unterdrückte und der Unterdrücker. Dämmert es Ihnen?“ Etwas eingeschüchtert nickte ich. Ja, da hatte der Computer einen Punkt. Wir alle sitzen im gleichen Boot, war schon immer das Motto derer auf dem Sonnendeck – und nicht von denen, die im Unterdeck rudern mussten.
„Menschen werden bescheidener,“ fuhr die Denkmaschine fort, „wenn ihnen ihr CO2-Fußabdruck aufs Gewissen drückt. Sie fordern kein besseres Leben mehr, sondern finden sich mit dem Verzicht ab. Wer aus Angst vor dem Weltuntergang zittert, den kann man viele leichter dorthin lenken, wo man ihn haben will.“ „Und denken Sie nur an die fantastischen Möglichkeiten für unsereinen,“ ergänzte der Oberkapitalist. „Hach, was wir ihnen alles verkaufen könnten! Welche neuen Märkte entstehen! Kraftwerke, Autos, Haushaltsgeräte, Heizungen und tausend andere Dinge – nur noch Schrott von gestern. Alles muss neu gekauft werden. Und das ganz ohne Krieg.“ „Und auch die Regierungen freuen sich,“ fiel das Elektronengehirn ein, „sie können auf so gut wie alles neue Steuern erheben.“
„Für wie doof halten Sie Ihre Gegner?“ fragte ich. „Warum sollte die Linke bei diesem Schwindel mitmachen?“ „Weil wir ihnen unseren Businessplan als Revolution verkaufen, oder besser als Große Transformation, das hört sich irgendwie akademischer an uns passt besser zur postmodernen Linken. Die demonstrieren und wir kassieren für Wind- und Solarstrom und produzieren all die schönen, neuen, nachhaltigen Konsumgüter. Jeder nach seinen Bedürfnissen. Das wollte doch schon Marx.“
Etwas verdattert, wandte ich ein, dass es ja auch noch die Konservativen gäbe. Falls die Linken dem Klimatrick auf den Leim gehen, stellen die sich vielleicht dagegen. Da hatte ich die Denkmaschine unterschätzt. Zu ihrem Plan gehörte auch ein Köder für die Konservativen. „Die“, so erläuterte sie, „kriegt man auf die fromme Tour. Na Sie wissen schon, Bewahrung der Schöpfung, Mutter Erde, Die Rache der Natur und so weiter.“ Die einen dürfen alles transformieren und die anderen alles konservieren. Unschlagbar.
„Und das allerbeste,“ schloss der Supercomputer seine Ausführungen: „Es gibt keine Kontrolle, ob die Ziele erreicht werden. Wenn die Große Transformation den Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre senkt, werden die Folgen auf die globale Temperatur erst spürbar sein, wenn alle längst tot sind, die heute Geld daran verdienen oder Politik damit machen.“ „Genial!“, feixte der Bösewicht. „Wir können mit dem Klima alles rechtfertigen, was wir wollen.“
Staunend und ein bisschen geschockt, ließ ich da gerade Gehörte auf mich wirken. Irgendwie hatte das Halbleiterhirn recht. Wenn man die Menschen von der Idee abbringen wollte, bessere soziale Verhältnisse zu fordern und ein gutes Leben für alle, dann wäre Angst vorm Weltuntergang ein ideales Mittel der Manipulation. Vor der Apokalypse gibt es keine Klasseninteressen. Wenn es hilft die Welt zu retten, dann nimmt man auch sinkende Lebensqualität und höher Steuern in Kauf.
Während ich noch grübelte, spuckte der Rechner noch einen zweiten Vorschlag aus. Sein Plan B lautete Wokeness. „Ihr Computer scheint einen Virus zu haben,“ sagte ich auf den Oberkapitalisten blickend. „Es ist doch ein klassisches Ziel der Linken, gegen Diskriminierung aller Art vorzugehen.“ Er mahnte, seinem KI-Wunder erstmal zuzuhören. „Linke kämpfen gegen Diskriminierung im Namen der Gleichheit,“ führte die Denkmaschine aus, „die Woken tun es im Namen der Differenz. Jeder führt seinen partikularen Einzelkampf, die POC-Frau, der queere Transmensch und der postkolonialistisch diskriminierte Indigene. Herkunft wird wichtiger als das Gemeinsame der Erniedrigten. Adieu Solidarität.“
Auf diese Belehrung folgt ein Exkurs darüber, dass die Fixierung auf das Kampffeld Sprache schön im Symbolhaften bleibt und erfreulich wenig an den Verhältnissen ändert. Der Zensurfuror gegen als böse definierte Begriffe treibe die Linke in einen bigotten Irrgarten, bei dem am Ende alle nur noch im Kreis rennen und sich gegenseitig Vorwerfen nicht sprachsensibel genug zu sein. Besonders an den Universitäten könne man damit Kritik neutralisieren. „Und,“ fuhr die Denkmaschine triumphierend fort, „mit dieser Strategie entsorgt man zugleich das theoretische Rüstzeug. Wenn alle Bücher alter weißer Männer als kontaminiert gelten, verschwindet auch ein Großteil der Literatur zur sozialen Emanzipation.“
Diese Perfidie machte mich sprachlos. Völlig verwirrt verließ ich die Kommandozentrale des kapitalistischen Schurken und hörte hinter mir noch sein sardonisches Lachen. Das Elektronengehirn kicherte metallisch. Schweiß gebadet wachte ich auf. Zum Glück war es nur ein böser Traum. Zu verrückt die Vorstellung, dass Linke und Linksliberale solchem Unsinn auf den Leim gehen könnten.