Die konservativste aller Zukunftsperspektiven: einfach überleben

Grün-schwarzes Biedermeier

Von Michael Miersch

Der heutige Konservatismus ist grün. Klimapanik und Öko-Ideologie sind breiter gesellschaftlicher Konsens, so typisch deutsch wie „Tatort“ und Graubrot. Sind wir nicht alle ein bisschen Kretschmann?

Der Aufbruch in die grün-schwarze Zukunft fand nicht im Mai 2016 in Stuttgart statt, sondern im Mai 2015 in Rom. Damals verkündete Franziskus die Enzyklika „Laudato si’“ –  und der deutsche Klimapapst Schellnhuber brüstete sich sogleich, das päpstliche Dokument quasi als heiliger Geist inspiriert zu haben. Nach Jahrzehnten des wechselseitigen Missverstehens hatten Katholizismus und grüner Alarmismus sich angeblickt und erkannt, dass sie Zwillinge sind. Zwei Weltanschauungen, die sich von der Angst und dem schlechten Gewissen ihrer Anhänger ernähren und diesen deshalb immer neue Endzeitszenarien und immer neue Schuldgefühle liefern müssen.

Aus Liebe auf den zweiten Blick werden oftmals besonders dauerhafte Ehen. Mit der Energiewende 2011 beseitigte die Kanzlerin die letzte Hürde für das Zusammenwachsen. Seither gibt nur noch Dissens bei Randthemen, wie Schwulenehe, dem Ausmaß polizeilicher und geheimdienstlicher Befugnisse und der Geschwindigkeit, in der man die sich wandelnden Familienformen akzeptiert. Es ist abzusehen, dass auch dies bald erledigt sein wird.

Liest man Kommentare zur großen Versöhnung, ist viel vom modernen Bürgertum die Rede und vom Mut über den eigenen Schatten zu springen. Das hört sich alles schön undogmatisch an und klingt nach geistiger Lockerungsübung. Doch wo liegt die konkrete Schnittmenge, welche Standpunkte teilen die beiden Partner? Sind es die Liberalen in der CDU und bei den Grünen, die durch die Annäherung Aufwind erhalten? Oder eher die Kräfte in beiden Parteien, die durch immer mehr Vorschriften und Regulierungen eine risikofreie Zukunft festschreiben wollen. Es gibt viele in der CDU und bei den Grünen, die die Moderne als Zumutung empfinden. Ihr gemeinsamer Nenner ist das Begrenzen und Verbieten.

Die Milieus, aus denen die Wähler der beiden Parteien stammen, ähneln sich immer stärker. In den besseren Vierteln von Stuttgart oder Freiburg funktioniert die Nachbarschaft schon recht harmonisch. Man sieht sich morgens beim Kauf der Vollkorn-Brötchen, nachmittags beim Feng-Shui-Kurs in der Volkshochschule, beim Homöopathen und in der Anti-Gentechnik-Initiative. Die einstigen Bauzaunstürmer stehen kurz vor der Frühpensionierung und wollen in Ruhe im Manufactum-Katalog blättern, den auch der CDU-wählende Nachbar abonniert hat. Und mit der Zeit entdecken sie immer mehr Gemeinsamkeiten. Man kann im Treppenhaus über Vintage-Fahrräder fachsimpeln und beim Italiener über Bio-Wein. Die Kinder gehen zusammen in die Waldorfschule. Und beim Mülltrennen übertrifft man sich gegenseitig.

Auch in der Bundespolitik kommen Union und Grüne sich seit Jahren immer näher. Für Horst Seehofer ist Grüne Gentechnik ein Frevel gegen Gottes Schöpfungsplan, für Renate Künast eine Schändung von Mutter Natur. Dagegen sind sie gemeinsam.

Es wächst erneut zusammen was einst zusammen gehörte. 1978 verließ der Abgeordnete Herbert Gruhl frustriert die CDU und wurde zu einem der Gründerväter der grünen Partei. Keine seiner düsteren Untergangsprognosen traf je ein. Doch sie haben das abgrundtief pessimistische Lebensgefühl vieler Menschen in Deutschland geprägt. Die vielen Erfolge im Umweltschutz änderten daran nichts.

Das Anliegen der CDU und ihrer historischen Vorläuferparteien, war das Hüten und Bewahren der bestehenden Traditionen, Werte und Lebenswelten: „Keine Experimente!“ (so Adenauers Wahlkampf-Slogan 1957). Doch die Konservativen vom Schlage Gruhls wurden in den fünfziger Jahren nach und nach an den Rand gedrängt. Die damals aufstrebende und bald schon dominierende Strömung im bürgerlichen Lager plädierte für einen „technokratischen Konservatismus“, der den Fortschritt nicht mehr verdammen, sondern nutzen sollte. So verloren Gruhl und andere ihre geistige Heimat, die sie dann Ende der 70er-Jahre bei den Grünen wiederfanden. Endlich gab es für sie einen Platz, von dem aus man Neuerungen aus Wissenschaft und Technik verdammen konnte. Mit den Grünen kämpften sie gegen Atomkraftwerke, Straßenausbau, Kohlekraftwerke, Computer, PET-Flaschen, Mobiltelefone, den Transrapid, Flughäfen, PVC-Fensterahmen, medizinische Gentechnik, ICE-Trassen, Pflanzengentechnik und eigentlich jede neue Technologie außer Windrädern und Solaranlagen.

Je stärker grünes Denken kulturell vorherrschend wurde – besonders auch in den Kirchen – desto mehr Konservative kehrten zu ihren fortschrittsfeindlichen Wurzeln zurück. Öko-Ideologie ist längst keine Spezialität der Grünen mehr, sondern breiter gesellschaftlicher Konsens. Sie ist so typisch deutsch geworden wie „Tatort“ und Graubrot. Sind wir nicht alle ein bisschen Kretschmann?

Gruhls nationaler Ökokonservatismus ist in der CDU von heute wieder höchst lebendig. Ausstieg aus der Atomkraft, Verbot von Pflanzengentechnik, Einschränkung pränataler Diagnostik, Förderung des Bio-Landbaus, Umverteilung zugunsten der Wind- und Solarindustrie und Geldsegen für die Klima-Lobby: All dies bescherte die CDU/CSU der Republik.

Texte von CDU-Intellektuellen, wie Matthias Zimmer, klingen fast wortgleich wie die Belehrungen einer Katrin Göring-Eckardt. „Wie müssen die Grundlagen unserer Lebensweise in Frage stellen“, schreibt er. „Die Erde ist dabei, zu einem unwirtlichen Ort zu werden.“ Denn der Mensch habe „Gott als Eigentümer enteignet.“

Nur keine Risiken eingehen lautet die Devise. Das Land des Wirtschaftswunders, das Land der Erfinder und Gründer wird mehr und mehr zum Land der subventionierten Bio-Karotten und Windräder. Der Rest der Welt staunt schmunzelnd über die germanischen Hobbits.

Das große Versprechen einer risikofreien Zukunft, birgt für einen der Koalitionspartner dennoch ein Risiko. Langfristig könnte die CDU das gleiche Schicksal ereilen, wie einst die SPD. Als diese nach Helmut Schmidt immer grüner wurde, wuchsen die Grünen und die SPD schrumpfte. Momentan wirke die Südwest-CDU, schrieb DIE ZEIT, „wie der etwas abgehalfterte Onkel, der eigentlichen Volkspartei, der Grünen.“

Zuerst erschienen im Magazin „liberal“ (Nr.4/2016)