Mierschs Zwischenrufe

2019 verabschiedete ich mich von Facebook, 2020 von Twitter. Nach zehn Jahren in den Social Media hatte ich den Eindruck, dass man dort kaum noch Originelles, Überraschendes oder geistig Anregendes findet – stattdessen endlose Wiederholungen altbekannter Gesinnungsplattitüden. Weil ich die kurze Form aber mag, finden Sie hier meine Randbemerkungen über Aktuelles und Zeitloses, Wichtiges und Marginales.

Rückenwind für die AfD

Die AfD hat keine vernünftigen Antworten auf die großen Fragen des Herbstes 2022, kann man überall hören und lesen. Das stimmt. Aber sie ist die einzige im Bundestag vertretene Partei, die beim Namen nennt, was die anderen verschweigen oder beschönigen. Gäbe es nicht dieses Bemänteln der Probleme bei Einwanderung, Integration und der vermurksten Energiewende würde die AfD nur eine kleine, rechtsradikale Minderheit anlocken. So bleibt es ausgerechnet einem Sammelbecken faschistischer Vollpfosten überlassen, das auszusprechen, was alle sehen können, wenn sie nicht die Augen davor verschließen. Wer kritische Berichterstattung zu den heiklen Themen sucht, findet in Radio, Fernsehen und in den meisten Zeitungen die gleichen wattigen Phrasen wie bei den Altparteien. Statt Analyse und Kritik gibt es die tausendste Sendung und den zehntausendsten Artikel mit gruseligen Vorhersagen über die zu erwartenden Folgen des Klimawandels.

Aussprechen was ist, das war einst Kennzeichen kritischer Linker. Jetzt befassen sich links Fühlende mit Sprachgeschwurbel und dem Schönreden einer unangenehmer werdenden Realität.

Zur geistigen Verwirrung der Linken gibt es hier eine kleine Glosse.

Geflüchtete

Man liest und hört kaum mehr von Flüchtlingen. Stattdessen ist von Geflüchteten die Rede. Denn aufmerksame Sprachreiniger haben festgestellt, dass die Wortendungen „ling“ oder „linge“ abwertend seien und daher getilgt werden sollten. Passen Sie also auf, wenn Sie Ihrem Liebling im Frühling einen Schmetterling zeigen, dass der Häuptling der Sprachwächter dies nicht hört. Sonst ist ihr guter Ruf keinen Pfifferling mehr wert.

Eines von 99 Stichwörtern aus dem Buch…

„Schöner Denken 2“

von Josef Joffe und Michael Miersch

Edition Tiamat

120 Seiten

Nazi

Für identitäre Linke ist jeder ein Nazi, dessen Meinung vom Katechismus für woke Intersektionalität abweicht. Für AfD-Anhänger sind Nazis unerklärliche historische Einzelfälle aus dunkler Vergangenheit, mit denen man als Neurechter nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat.

Eines von 99 Stichwörtern aus dem Buch…

„Schöner Denken 2“

von Josef Joffe und Michael Miersch

Edition Tiamat

120 Seiten

Kartoffel

Mal abfällig, mal freundlich-ironischer Begriff für Deutsche ohne Migrationshintergrund. Wobei man sich fragt, ob die Knollenfrucht als Symbol glücklich gewählt wurde. Denn schließlich hat sie selbst Migrationshintergrund und kam aus Amerika über Spanien und die Niederlande nach Deutschland. Damals ohne Risikoanalyse. Die Vorbehalte der kartoffelskeptischen Bauern erinnern an die heutigen Ressentiments gegen Pflanzengentechnik.

Schließlich haben die Fürsten die Ami-Knolle gegen den bäuerischen Widerstand durchgesetzt, und sie wurde ein beliebtes Nahrungsmittel. Heute kennt man sie auf der ganzen Welt. Deutschland nimmt einen bescheidenen sechsten Platz unter den Kartoffelnationen ein. Nummer eins ist China gefolgt von Indien. Mehr Migrationshintergrund geht kaum.

Gerade dies prädestiniert die Kartoffel als Charakterisierung der Deutschen. Denn die alteingesessene Bevölkerung zwischen Flensburg und Berchtesgaden stammt größtenteils nicht von germanischen Stämmen ab, sondern hat migrantische Wurzeln. Kaum ein Volk der Erde ist so bunt gemischt. Völkerwanderung, Eroberun, Besatzung (von den Römern bis zur Roten Armee), Vertreibung und immer wieder Kriegesorgten dafür, dass nur noch die wenigsten Bewohner der Mitte Europas Abkömmlinge von Teutonen, Kimbern, Cheruskern  sind. So betrachtet sind die Deutschen tatsächlich die Kartoffeln unter den Völkern.

Eines von 99 Stichwörtern aus dem Buch…

„Schöner Denken 2“

von Josef Joffe und Michael Miersch

Edition Tiamat

120 Seiten

Globaler Süden

Früher sprach man von Dritter Welt, von Entwicklungs- oder Schwellenländern. Die Kriterien dafür waren nicht immer ganz klar, aber eindeutig ökonomischer Natur. In woken, postkolonialen Kreisen benutzt man mittlerweile lieber die Bezeichnung „Globaler Süden‘“, wo angeblich Mitmenschlichkeit und Naturverbundenheit zuhause sind. Die Generaldirektorin der Documenta 15 betonte, auf der Kasseler Kunstschau die Perspektive des „Globalen Südens“ zu präsentieren. Wer gehört zu diesem „Globalen Süden“ und warum? Die südliche Lage auf dem Globus spielt offenbar keine Rolle, sonst würden Australien und Neuseeland dabei sein. Nimmt man als Kriterium, dass alle Nationen darunterfallen, die unter Kolonialismus gelitten haben, fällt auf, dass einige fehlen. Denn Länder wie Polen sind nicht mitgemeint, obwohl sie vom Deutschen Reich auf brutalste Weise kolonisiert und ausgebeutet wurden. Legt man Armut als Kriterium an, funktioniert der Sammelbegriff ebenfalls nicht. Denn manche arabischen Staaten werden zum „Globalen Süden“ gezählt, obwohl sie reicher sind als viele Länder des Nordens, die angeblich zu den Ausbeutern gehören. Als einzige Gemeinsamkeit bleibt nur die Hautfarbe übrig, um den „Globalen Süden“ zu definieren. So wie die Bezeichnung heute benutzt wird, gehören alle dazu, die afrikanisch, lateinamerikanisch, süd- oder ostasiatisch aussehen. Ein Begriff aus der Küche des woken Antirassismus.

Eines von 99 Stichwörtern aus dem Buch…

„Schöner Denken 2“

von Josef Joffe und Michael Miersch

Edition Tiamat

120 Seiten

Letzte Generation

„Aber viele, die da sind die Ersten, werden die Letzten, und die Letzten werden die Ersten sein,“ heißt es bei Matthäus. Der Satz zählt zu den bekanntesten aus der Bibel und wurde zum Sprichwort. Vielleicht wollen deshalb viele so gern zu den Letzten gehören. In Deutschland und Österreich machte 2022 eine Aktivistengruppe namens „Aufstand der letzten Generation“ von sich reden, die glaubt, die Welt vor dem Untergang retten zu müssen. Zu diesem Zweck protestierten Mitglieder nicht nur indem sie aufhörten zu essen: Sie setzten sich auf viel befahrene Straßen und klebten ihre Hände dort mit Sekundenkleber fest. Womit sie trotz ihrer geringen Zahl das Interesse der großen Medien auf sich zogen. Die klimasündigen Autofahrer warteten geduldig, bis die Polizei die Demonstranten mit Lösungsmitteln vom Asphalt getrennt hatte.

Letzter in der dreihunderttausendjährigen Geschichte des Homo sapiens zu sein, hat einen gewissen Kick. Schließlich kennt man bis heute die Namen Adam und Eva, mit denen nach jüdischer Überlieferung die Menschheit ihren Anfang nahm. Doch sollte man die Bewerber auf den letzten Platz in der Menschheitsgeschichte vor zwei Risiken warnen. Tritt ihre Prophezeiung ein, werden nur sie selbst von ihrer überragenden Bedeutung wissen. Denn nach ihnen kommt niemand mehr.

Zweitens ist die Chance, dass der Weltuntergang tatsächlich jetzt stattfindet, nicht sonderlich hoch. Die Sekundenkleber sind eine nur vorläufig „letzte Generation“, die von der nächsten abgelöst wird.

Auch die Christen waren hin und wieder davon überzeugt, die Letzten zu sein. Zum Beispiel 999, als Papst Sylvester II den Weltuntergang verkündete. Dass der ausblieb, erklärte das Kirchoberhaupt mit seinen erfolgreichen Gebeten. Laut Luther sollte die Welt 1532 untergehen. Dann erprobte er erfolglos zwei weitere Termine. Der Gründer der Zeugen Jehovas Charles T. Russel und seine Nachfolger legten sich viermal auf das Jahr des Weltendes fest.

Es gilt der gute Rat des polnischen Lyrikers Stanisław Jerzy Lec (1909-1966): „Erwartet euch nicht zu viel vom Weltuntergang.“

Eines von 99 Stichwörtern aus dem Buch…

„Schöner Denken 2“

von Josef Joffe und Michael Miersch

Edition Tiamat

120 Seiten

Was ist eigentlich Identität?

„Menschen konstruieren ihre Identität, indem sie ihre eigene Erfahrung in ein Repertoire etablierter Narrative einordnen.“

Diese treffende Definition stammt von der Soziologin Margaret Somers. Gefunden in Rebecca Cliffords Buch „Ich gehörte nirgendwo hin – Kinderleben nach dem Holocaust“ (Suhrkamp 2022)

Eine, die immer da war

Aus gegebenen Anlass: Die Maxeier-Miersch-Kolumne aus der  WELT vom 20. Juni 2013

In der ersten Halbzeit des Jahres 2013 haben uns zwei Begebenheiten besonders beeindruckt: Die Abdankung von Benedikt XVI, die uns daran erinnerte, dass wir nunmehr schon sieben Päpste lang auf der Welt sind. Und das 60. Krönungsjubiläum von Queen Elizabeth II, die – so dachten wir – das einzig verbliebene Staatsoberhaupt sei, welches seit unserer Geburt regiert. Allerdings hatten wir in diesem Moment Rama IX von Thailand vergessen, auch als König Bhumibol bekannt, der bereits seit 1946 im Amt ist.

Man gewöhnt sich an langjährige Staatsmänner und -frauen wie an Wegmarken beim Reisen. Die wenigsten denken über sie nach, dennoch geben sie unbewusste Orientierung, weil sie einfach immer da sind. Angenehmerweise stehen sie jedes Mal, wenn man vorbeikommt, stets an derselben Stelle. Wenn man diese Funktion dann auch noch mit einem Maximum an Dezenz ausfüllt wie die Queen, dann ruft schon der bloße Anblick wohlige Zufriedenheit und ein Gefühl der Sicherheit hervor. Ach ja, die Queen, die ist ja auch noch da – wie schön.

Es gab in der neueren Geschichte noch ein paar andere Dauermachthaber, von denen man glaubte, sie würden niemals verschwinden. Doch die waren aus einem völlig anderen Holz: Gewaltmenschen wie Gaddafi, Mobutu oder Castro, die nur durch permanente Einschüchterung ihrer Untertanen die geraubte Macht in die Länge zogen. Oder geniale Wendehälse wie der ewige Anastas Mikojan, der als einziger sowjetischer Parteibonze ein unglaubliches Kunststück schaffte: Er überlebte von Lenin bis Breschnew und hatte dabei immer irgendeinen Ministerposten.

Verdrossen blicken die Völker auf die zähe Kontinuität solcher Gestalten und hoffen auf ihr Ableben. Für freiheitsliebende Menschen gibt es kaum etwas Frustrierenderes als Dauerdiktatoren, die komfortabel im Bett sterben und ihrer gerechten Strafe entgehen. Wie angenehm hebt sich die Queen von solchen machtbesessenen Ehrgeizlingen ab. In aller Bescheidenheit beschränkt sie sich darauf, das britische Volk und die älteste Demokratie der Welt zu repräsentieren. Sie dient Labour ebenso loyal wie den Tories und begnügt sich damit, eine Projektionsfläche für jedermann zu sein, ohne dabei selbst blass zu wirken.

Wir hoffen von Herzen, dass sie noch lange durchhält. Schon damit dieser grüne Esoteriker vom Thron ferngehalten wird.

Wortverschiebungen

Politik, die sich auf ethnische Herkunft beruft.

Früher: Völkisch. Heute: Identitär

 

Mann, der sich als Frau verkleidet.

Früher: Transvestit. Heute: Frau.

 

Menschen weiblichen Geschlechts.

Früher: Frauen. Heute: Menstruierende Personen.

 

Sehr heiße Tage im Juli und August:

Früher: Hochsommer. Heute: Hitzefront.

 

Diffamierung von Juden.

Früher: Antisemitische Hetze. Heute: Postkolonialer Diskurs.

 

Zensur zum Schutz der Jungend.

Früher: Bevormundung. Heute: Safe Space.

 

Vermischung künstlerischer Stilformen.

Früher: Crossover. Heute: Kulturelle Aneignung.

 

Missbilligung von Bigotterie und religiösem Fanatismus.

Früher: Religionskritik. Heute: Antimuslimischer Rassismus.

Insektensterben durch Bio-Pflanzenschutz

„Die heimischen Marienkäferarten wurden mehr und mehr zurückgedrängt,“ berichtet der Austrian Science Fund. Schuld sind nicht synthetische Pestizide sondern Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis), die zu biologischen Schädlingsbekämpfung nach Europa eingeführt wurden. Sie begnügten sich nicht damit in Gewächshäusern und auf Obstplantagen Blattläuse zu futtern, sondern breiteten sich rasant in alle Richtungen aus. Mittlerweile sind sie die häufigste Art in unseren Breiten.

ALDI-Aktivismus

Kapitalismus bedeutet Opportunismus als Wirtschafsprinzip. Kein anderes Wirtschaftssystem der Geschichte funktionierte so gut und befreite so viele Menschen aus der Armut. Wie ein Chamäleon wechselt der Kapitalismus die Farbe, um sich jeder politischen Wende geschmeidig anzupassen. Jeden Zeitgeist weiß er zu vermarkten und für jede kulturelle Strömung die passenden Produkte zu liefern. ALDI ist schon eine ganze Weile auf den Anti-Gentechnik-Zug aufgesprungen und verspricht jetzt seinen Kundinnen und Kunden, bis 2030 keine Lebensmittel mehr anzubieten, die von Tieren stammen, die gentechnisch optimiertes Futter bekamen. Bei den meisten nicht-tierischen Produkten wurde Gentechnik ohnehin schon aussortiert. „Bei ALDI Nord stehen die Bedürfnisse der Kunden stets im Mittelpunkt. Und wir nehmen ihre Bedenken gegenüber Gentechnik ernst,“ erklärt der Handelskonzern. Sieg auf der ganzen Linie für die Angstmacher. Dass so gut wie alle Fachwissenschaftler die Furcht für völlig unbegründet halten, interessiert in diesem Fall nicht. In Deutschland ist es normal, sich mit gentechnisch erzeugten Impfstoffen zu schützen, gentechnisch erzeugte Medikamente einzunehmen, z.B. Insulin bei Diabetes (150 Gentechnik-Arzneien sind auf dem Markt). Doch eine Bratwurst von einem Schwein, das gentechnisch optimierte Soja fraß, ist für viele der blanke Horror. ALDI rette uns!

Vattenfall rettet das Klima mit Gemüse

Der schwedische Energiekonzern hat der Klimaerwärmung den Kampf angesagt. Jetzt auch in der Betriebskantine. Zitat aus einer Pressemeldung: „Was uns als Vattenfall motiviert… sind vor allem die inneren Werte der veganen Ernährung – die positiven Effekte. … Dazu gehört natürlich die gesunde Kost, aber beispielsweise auch der geringere Ausstoß an Treibhausgas, der damit einhergeht. Allein 25 Prozent an CO2– Equivalent fallen für unsere Ernährung an.“ So schließt sich der Kreis. Landwirte bauen Energiemais an oder stellen ihr Ackerland Windkraftbetreibern zur Verfügung, um die Pacht zu kassieren. Und die Windkraftbetreiber kümmern sich nun um die klimakorrekte Ernährung

„Bollwerke der Demokratie“

In der WELT hat Philipp Welte einen Gastkommentar abgeliefert. Welte ist Vorstand der Hubert Burda Media und Vizepräsident des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger. Er baute seine Karriere bei Burda auf Massenentlassungen von Journalistinnen und Journalisten, auf Sparprogramme und die Einführung pseudo-glamouröser Blättchen, die sich bemühen, junge Frauen für dumm zu verkaufen. In hausinternen Rundschreiben von Welte kamen Worte wie „Journalismus“ oder „journalistische Inhalte“ nicht vor. Stattdessen war von „Produkten“ die Rede und ihrer möglichst kostengünstigen Vermarktung. Schleichwerbung eingeschlossen. Im Hause Burda genießt Welte den Ruf eines komplett rücksichtlosen, antisozialen Karrieristen und trägt schon lange den Spitznamen „Fürst der Finsternis“. Dieser Mensch tritt jetzt als Retter des seriösen Journalismus auf die Bühne, der die hehre Wahrheitssuche gegen die Drachen Google, Facebook und Co. verteidigt.  Zitat: „Wir Verlage verstehen unseren Journalismus als ein Bollwerk gegen diese Bedrohung der Demokratie. Es ist die Aufgabe der freien Presse, unabhängig und wahrhaftig zu informieren – die „Achtung vor der Wahrheit“ ist das erste Gebot des Pressekodex der Verlage.“
Und was will er? Subventionen von der neuen Regierung. In Welte-Deutsch klingt das so: „Es ist richtig, dass die Regierung einen zweiten Anlauf nimmt, um die flächendeckende Versorgung mit periodischer Presse sicherzustellen – das sollte diesmal aber ordnungspolitisch sauber sein und diskriminierungsfrei Zeitschriften und Zeitungen umfassen. Gelingt dies nicht, stehen viele Publikationen vor dem Aus.“

Hier einige „Bollwerke“ Weltes:

„Social media is a deadly game for power and money”

Das Aufkommen der Social Media vor zwei Jahrzehnten weckte große Hoffnungen. Die Utopie einer demokratischen Öffentlichkeit, an der alle teilnehmen können ohne die Gatekeeper der Medienkonzerne, schien in greifbarer Nähe. Leider lief es wie mit dem Kommunismus. Die Idee klang wunderbar. Doch in der Praxis wurde etwas völlig anderes daraus. Gut organisierte Minderheiten, Lobbygruppen, Schleichwerber, Agenten autoritärer Regime, Irre und Fanatiker besetzten das Terrain. Statt demokratischer, pluralistischer Öffentlichkeit bildete sich eine römische Arena, in der immer der schnellste, heftigste und primitivste Reiz gewinnt.

Gestern wurden die philippinische Journalistin Maria Ressa und ihr russischen Kollegen Dmitri Muratow mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. In ihrer Dankesrede stellte Ressa die zynische Strategie der Social-Media-Konzerne in den Mittelpunkt. Sie klagte an, dass autoritäre Herrscher mit Hilfe von Facebook und Co. ihre Desinformation besser unters Volk bringen können als je zuvor. Es lohnt sich ihr zuzuhören. Hier die ganze Rede:
https://youtu.be/m1w3rRRBoq8
Hier ein Auszug:
“…The attacks against us in Rappler (Die Nachrichten-Website, die Maria Ressa gegründet hat) began five years ago when we demanded an end to impunity on two fronts: Rodrigo Duterte’s drug war and Mark Zuckerberg’s Facebook. Today, it has only gotten worse – and Silicon Valley’s sins came home to roost in the United States on January 6 with mob violence on Capitol Hill. What happens on social media doesn’t stay on social media. Online violence is real world violence. Social media is a deadly game for power and money, what Shoshana Zuboff calls surveillance capitalism, extracting our private lives for outsized corporate gain. Our personal experiences sucked into a database, organized by AI, then sold to the highest bidder. Highly profitable micro-targeting operations are engineered to structurally undermine human will. I’ve repeatedly called it a behavior modification system in which we are all Pavlov’s dogs, experimented on in real time with disastrous consequences in countries like mine, Myanmar, India, Sri Lanka, and so many more…”

Betreutes Lesen

Gestern brachte die Post Abdulrazak Gurnahs Buch „Das verlorene Paradies“, das ich bei „Eichendorff 21“ (sehr zu empfehlen!) bestellt hatte. Beim Durchblättern entdeckte ich eine „Editorische Notiz“. Sie weist Leserinnern und Leser darauf hin, dass in diesem Roman Menschen als „Wilde“, „Eingeborene“ oder „Kaffer“ bezeichnet werden. Es folgt die Erklärung, dass dies „in der Regel Figurenrede“ sei, also fiktive Romanfiguren so sprächen. In einigen Fällen benutze auch der Erzähler die Sprache der Zeit, in der die handelnden Figuren verankert sind (der Roman beginnt im 19. Jahrhundert). Es folgt der Hinweis, dass dem Verlag bewusst ist, wie problematisch dies sei.

Ich hatte also nochmal Glück gehabt. Ohne die „Editorische Notiz“ wäre ich beim Lesen von Gurnahs Buch womöglich Rassist geworden.

Spaß beiseite. Nachdem sich mein Erstaunen gelegt hatte, fiel mir ein anderes Buch ein. Irgendwann, als es die DDR noch gab, hatte ich mir in Ostberlin „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“ von John Reed gekauft. Das weltberühmte Buch, eine Reportage über die Ereignisse 1917 in Russland, war ein kniffliges Problem für die Diktatur. Denn da es schon 1919 erschienen war und damals auch im Westen verbreitet, konnte man es weder still und heimlich umschreiben noch verbieten, wie so viele andere Bücher. Man hätte ja im Westen eine manipulierte Fassung mit dem Original von 1919 vergleichen können. Außerdem gab es auch noch ein Vorwort von Lenin, der im sowjetischen Machtbereich posthum als Heiliger gepriesen wurde. Das Ministerium für Kultur löste das Problem, indem es dem Buch ein langes editorische Nachwort anfügte. Darin erklärte die Partei den Leserinnen und Lesern, was es damit auf sich habe, dass in dem Buch Personen vorkommen, die in der DDR-Geschichtsschreibung gar nicht existierten, wie etwa Sinowjew oder Trotzki. John Reed habe diese Personen im Eifer des Gefechts falsch eingeschätzt, denn sie waren schon 1919 vollkommen unbedeutend und obendrein schändliche Verräter.

Natürlich ist der damalige Geschichtsrevisionismus nicht das Gleiche wie eine heutige Triggerwarnung. Dennoch fühlt man sich als Leser unangenehm berührt, wenn der Verlag einem schulmeisterhaft erläutert, wie man ein literarisches Werk zu verstehen habe.

Endlich getrennt: Klima und Umwelt

Worauf einige Naturschützer seit Jahren hinweisen, setzt die Ministerien-Aufteilung der Ampelkoalition in politische Zuständigkeiten um: Klimaschutz und Umweltschutz sind nicht das Gleiche. Es wird ein Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geben und eines für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Damit nimmt die neue Bundesregierung eine gedankliche Differenzierung vor, die in der deutschen Öffentlichkeit längst noch nicht vollzogen ist. Viele Medienbeiträge tun immer noch so, als seien die Ziele der Klimaproblematik quasi identisch mit Umweltschutz. Manche vernebeln den Unterschied aus Unwissen, andere aus energiepolitischem Kalkül. Wind- und Solarindustrie sind nicht nur sehnsüchtig erwartete Klimaretter, sondern ebenso profitgesteuert wie die Öl- und Kohlewirtschaft (oft sind es dieselben Konzerne). Sicherlich: Wenn man an den Untergang durch apokalyptische Erderhitzung glaubt, sind alle Umweltfragen (und auch alles andere) marginal. Doch in der Praxis haben die großen Umweltprobleme recht wenig mit Klimaerwärmung zu tun. Die Verschmutzung von Luft und Gewässern, die vor allem in ärmeren Ländern nach wie vor ein Riesenproblem darstellt, liegt nicht am CO2-Anstieg. Ebenso wenig die vielerorts nicht funktionierende bis nicht vorhandene Müllentsorgung. Das Verschwinden von Tier- und Pflanzenarten ist auch keine Folge der Erwärmung, sondern liegt vornehmlich am Verlust von Naturgebieten, durch die Ausbreitung der Landwirtschaft und an der Übernutzung von Wäldern, Wildtier- und Fischbeständen. Auch auf Deutschland bezogen, leidet die Natur weniger am Klimawandel als an der Intensivierung der Landwirtschaft, wodurch artenreiche Lebensräume wie etwa magere Blühwiesen verschwinden. Andererseits zeigt sich deutlich, dass viele Maßnahmen umweltschädlich sind, die der Abkühlung des Klimas dienen sollen. Warum steht in diesem Vortrag, den ich 2017 in London hielt. Die neue Regierung plant, dass zwei Prozent der deutschen Landesfläche mit Windkraftanlage bebaut werden. Da klingt nach nicht sonderlich viel. Zwei Prozent das entspricht jedoch fast der Gesamtfläche aller Gewässer in Deutschland (2,3 Prozent) oder aller Autostraßen (2,6 Prozent). Der Klimaminister und die Umweltministerin werden also Einiges zu diskutieren haben.

Reichlich Prognosen und üppiger Konsens

In der WELT vom 8.11.2021 wurde über eine Studie von Medienforschern der Gutenberg-Universität Mainz und der LMU München berichtet. Die Wissenschaftler analysierten Beiträge der Leitmedien zum Thema Klimawandel. Ausgewertet wurden FAZ“, „SZ“, „Bild“, „Spiegel“, „Focus“, „t-online“, WELT, „Tagesschau“, „heute“, „RTL Aktuell“, „ARD Extra“.

Zitat aus dem WELT-Artikel: „Als negativ vermerken die Medienwissenschaftler, dass die Unsicherheiten von Prognosen…nicht ausreichend transparent gemacht wurden. Stattdessen seien Prognosen häufig als gesichert dargestellt worden…Rund 90 Prozent der Beiträge, die sich mit den Erkenntnissen der Wissenschaft beschäftigten, hätten den wissenschaftlichen Konsens hervorgehoben, nur in 10 Prozent sei es um den wissenschaftlichen Dissens gegangen.“

Kleiner Scherz: Die Analyse bezog sich auf die Covid-19-Berichterstattung, nicht auf den Umgang der Medien mit dem Klimawandel. Selbstverständlich werden im Klima-Journalismus Prognosen kenntlich gemacht und wissenschaftlicher Dissens thematisiert.

Flirtende Fische, lüsterne Lurche, verliebte Vögel

Mit der Berliner Künstlerin Claudia Bernhardt habe ich (unter anderem) das Buch „Zwischen Tieren“ realisiert. Jetzt entwickelt sie daraus wunderbare kurze Animationsfilme, die einzelne Arten und ihr Liebesleben vorstellen. Erste Folge: Seepferchen. Vor einiger Zeit produzierte Claudia schon einmal Kurzfilme zu Kapiteln aus „Zwischen Tieren“ mit Lesungen der Schauspielerin Katharina Eckerfeld, zum Beispiel über Hummer. Für alle die wissen wollen, warum Seepferchen non-binär und Hummer hochsensibel sind.

Was ist eigentlich ein Klimastreik?

Die Aktivistinnen von Fridays For Future nennen ihre Demonstrationen „Streik“. Journalisten und Politiker übernehmen diesen Wortgebrauch, ohne einmal zu fragen, was eigentlich ein Streik ist. „Ein Streik ist im Arbeitskampf,“ definiert Wikipedia, „eine vorübergehende Niederlegung der Arbeit durch eine verhältnismäßig große Anzahl von Arbeitnehmern, die ein gemeinsames Ziel im Rahmen ihrer Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse erreichen wollen.“ Ist es ein Arbeitskampf, wenn Jugendliche auf der Straße protestieren, statt zur Schule zu gehen? Wer eine Dienstleitung (den Schulunterricht) verschmäht, der streikt nicht, er boykottiert. Auch das ist eine klassische Form des Protestes – aber nicht das Gleiche wie ein Streik, bei dem Produzenten oder Dienstleister die Arbeit niederlegen. Nach der FFF-Neudefinition bestreiken jeden Sonntag Millionen Deutsche die Kirche, indem sie dem Gottesdienst fernbleiben, Impfgegner bestreiken die Ärzte und die Abstinenzler die Kneipen.

Drei Wahlverlierer

Die deutschen Journalisten

Obwohl Zuschauer, Zuhörer und Leser von fast allen großen und einflussreichen Medien monatelang direkt oder indirekt aufgefordert wurden, DIE GRÜNEN zu wählen, weil ansonsten die Welt unterginge, blieb die Partei weit unter den Erwartungen zurück. Rechnet man das Ergebnis von 14,8 Prozent auf die Gesamtzahl der Wahlberechtigten um, ließen sich fast 90 Prozent der über 18-Jährigen nicht von der medial befeuerten Klimapanik anstecken.

Die Politik der Angst

Offenbar glaubt die große Mehrheit der Deutschen weder an einen Bevölkerungsaustausch (AfD) noch an die Klimaapokalypse (DIE GRÜNEN). Für beide Parteien haben sich ihre Horrorszenarien nicht ausgezahlt. Deutschland hat sich als stabile und besonnene Demokratie gezeigt. Anders als in manchen anderen Ländern Europas wünscht eine klare Mehrheit der Bevölkerung pragmatische Sachpolitik statt vermeintlicher Rettung der Welt bzw. der Nation.

Die Sonntagsfrage

Die in vielen Medien so beliebte Sonntagsfrage („Wem würden Sie Ihre Stimme geben, wenn am Sonntag Wahl wäre?“) kann man sich sparen. Der Hype um diese hypothetischen Umfragen hat offenbar keine Substanz und sagt nichts über das Ergebnis realer Wahlen aus. Auf Basis der Sonntagsfrage wurde 2020 die SPD für tot erklärt und im Frühjahr 2021 Frau Baerbock zur Kanzlerin gekürt.

Der Enkeltrick

Die Initiative „Enkelkinderbriefe“, die mit Fridays For Future und anderen Organisationen von Klimaaktivisten zusammenarbeitet, bietet auf ihrer Website einen Brief-Generator an, mit dem junge Menschen ihre Großeltern überzeugen sollen, im Sinne der Klimaaktivisten zu wählen. Über 6600 haben schon mitgemacht. Auch ich habe es mal ausprobiert. Mit sieben Klicks konnte ich einen schönen Brief erzeugen. Hier der Text, den ich per Generator erstellte. Bei jedem der Sieben Satzbauteile hatte ich die Möglichkeit verschiedene Formulierungen anzuklicken. Diese gefielen mir am besten…

Klick 1: Liebe Oma

Klick 2: Ich wollte dir mal wieder schreiben, weil ich mir Sorgen um die Zukunft mache.

Klick 3: In den letzten Jahren sieht man, welche Folgen der Klimawandel auf der ganzen Welt hat. Bislang sind die Folgen noch zu bewältigen, aber wenn ich mal Kinder habe, werden diese mit den Konsequenzen leben müssen, wenn wir nicht jetzt handeln.

Klick 4: Im September darf ich noch nicht wählen. Ihr aber schon. Und eure Altersgruppe ist die Mehrheit, die über die Politik der nächsten Jahre entscheiden wird.

Klick 5: Bitte gib deine Stimme einer Partei, die sich für eine starke Klimapolitik einsetzt. Damit schenkst du mir und den jungen Leuten eine bessere Zukunft.

Klick 6:  Ich vermisse dich

Klick 7: Hab dich lieb

Leider sind meine Omas schon lange tot. So fehlte mir die Adresse.

 

Weniger Grün? Im Gegenteil

Zitat aus einer Pressemeldung der Universität Augsburg vom 13.08.2021:

„Globales Pflanzenwachstum leidet vermehrt durch Klimaextreme

Eine internationale Studie zeigt, dass insbesondere in den nördlichen Breitengraden im Vergleich von 1982-1998 zu 2000-2016 das Pflanzenwachstum um 10,6 Prozent abgenommen hat. Grund sind Klimaextrem, insbesondere Dürre. Die Ergebnisse, die in der Zeitschrift ‚Nature Climate Change‘ publiziert wurden, verdeutlichen, dass Ökosysteme zunehmend anfälliger für warme Dürren werden und negative Auswirkungen auf die Aufnahme von CO2 durch Pflanzen sowie auf die Landwirtschaft Folgen sind.“

Also weniger Grün auf dem Globus? Könnte (und sollte?) man denken. Erst im vorletzten Absatz erfahren ausdauernde und sorgfältige Leser, dass die festgestellte Veränderung der Vegetation nicht etwa bedeutet, dass das Grün auf der Erde abnimmt. Sondern dass die seit Jahrzehnten anhaltende Zunahme des Pflanzenwachstums (Global Greening) sich um 10,6 Prozent abgeschwächt hat. Die in Deutschland kaum bekannte Tatsache, dass mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre als Dünger wirkt und weltweit zu einer erheblichen Ausweitung der Vegetation führt, bleibt unerwähnt. Eine Nasa-Studie ergab, dass die Pflanzendecke des Planeten in den vergangenen 35 Jahren um die doppelte Größe Australiens zugenommen hat.

Rezepte vom Murmeltier

Langweilige Menschen haben zweierlei gemeinsam: fehlende Selbstdistanz und Mangel an Originalität. Meistens weiß man im Voraus, was sie als nächstes sagen werden und kann es innerlich mitsprechen.

In politischen Debatten trifft beides auf Besserwisser zu, die in den Geschmacksrichtungen AfD-braun und eso-grün zu haben sind. Seit Frühjahr 2020 überbieten sich beide mit Forderungen, endlich die richtigen Konsequenzen aus der Pandemie zu ziehen. Die Covid-19-Krise fungiert dabei als Bestätigung all dessen, was sie schon immer sagten.

Schuld an der misslichen Lage sind je nach Geschmacksrichtung die üblichen Verdächtigen. Bei den einen ist es die „Merkeldiktatur“, die das geschundene deutsche Volk auf ewig einsperren will. Bei den anderen ist der Mensch als solcher schuldig. Denn er hat sich zu weit von Mutter Natur entfernt. Ähnlich schlicht und vorhersehbar, wie die jeweilige Ursachen-Analyse sind die Rezepte zur Erlösung von dem Übel. Alle Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung sofort einstellen, empfehlen die einen: Freies Husten für freie Bürger. Gesunde Ernährung, Homöopathie und keinesfalls impfen die anderen. So wie in Einwohner von Punxsutawney alljährlich das gleiche Murmeltier hervorholen, kramen die Covid-Rebellen bei jedem aktuellen Anlass die immer gleichen Rezepte aus ihrem Fundus.

Verglichen damit erscheinen die biederen Protagonisten der Regierungsparteien geradezu originell. Aus der großen Koalition sind Disput, Abwägung, Zweifel und Bereitschaft zur Korrektur zu vernehmen. Keiner ihrer Vertreter tritt als Doktor Allwissend auf. Immerhin.

Das Stalintrauma der DDR

Eine populäre Legende über die frühen Jahre der DDR geht so: Es sei eine Zeit des Idealismus gewesen. Aufrechte Antifaschisten traten an, um ein neues, besseres Deutschland zu erschaffen, eine friedliche, freundliche Republik. So erzählten es Gregor Gysi, Markus Wolf und andere nach 1989 in den Talkshows. Westliche Journalisten plapperten es beflissen nach und viele glauben bis heute daran.  Gemäß dieser Legende soll die DDR erst mit der Zeit der autoritäre Spitzelstaat geworden sein, der sie am Ende war.

Wer sich ein wenig mit DDR-Geschichte befasst weiß, nichts davon ist wahr. Die frühen Jahre waren die repressivsten. Tausende verschwanden in den später 40er- und frühen 50er-Jahren in Gefängnissen, in den wiedereröffneten NS-Konzentrationslagern, wurden in die Sowjetunion verschleppt und dort erschossen, oder in sibirische Arbeitslager verfrachtet. Größtenteils waren die Opfer dieses Staatsterrors keine Nazis, wie von den Hütern der Legende behauptet wird, sondern linke Antistalinisten, Sozialdemokraten und andere demokratische Oppositionelle.

Der Historiker Andreas Petersen schildert in seinem Buch „Die Moskauer“ die Männer, die die DDR gründeten: Ein eingeschworener Orden von Parteifunktionären um Ulbricht und Pieck.  Sie hatten im Moskauer Exil alle Linienschwenks Stalins ergeben bejubelt und die Säuberungen, bei denen mehr Kommunisten hingerichtet wurden als unter den Nazis, fanatisch unterstützten. Bei der Gründung der DDR traten sie in Konkurrenz mit kommunistischen KZ-Überlebenden, die in Buchenwald als „Funktionshäftlinge“ mit der SS kollaboriert hatten und als Helfer am Morden teilnahmen.

All dies war mir durch Literatur und Gespräche mir Zeitzeugen bekannt. Dennoch hat mich „Die Moskauer“ erschüttert.  Manche Abgründe werden einem erst richtig bewusst, wenn man sich auf die Detailebene begibt. Das Buch steckt voller Kurzbiographien, die die Vergangenheit der Moskauer Kader und ihrer Konkurrenten aus den Reihen der KZ-Überlebenden ausleuchten.

Wie tief die DDR-Gründer im Moskauer Exil gesunken waren, ist kaum zu fassen. Nicht nur, dass sie alle ihren Kopf retteten, indem sie Genossen und Freunde denunzierten (was für diese fast immer den Tod bedeutete). Viele von ihnen verloren engste Angehörige, Ehepartner, Kinder, Eltern, durch Stalins Mordmaschine, und blieben dennoch beinharte Stalinisten. Manche waren selbst jahrelang im Gulag, überlebten nur knapp und beteiligten sich danach in der DDR am Aufbau des neuen Unterdrückungsapparates. Nur sehr wenige sprachen oder schrieben je über das Erlebte – selbst nach dem Zusammenbruch der DDR. Die meisten schwiegen eisern ihr Leben lang. Einige schrieben Autobiographien, in denen sie die Jahre in der UdSSR nicht erwähnten oder Märchen über die schöne Zeit im Vaterland des Sozialismus erzählten. Bei manchen ging es so weit, dass sie ihre in Moskau ermordeten Angehörigen zu Naziopfern umdichteten.

Ein Buch, das jeder lesen sollte, der sich für die Geschichte der DDR interessiert. Selten wurden die Jahre vor dem Mauerbau so kenntnisreich ausgeleuchtet. Es waren die prägenden Jahre.

Andreas Petersen: Die Moskauer, S. Fischer Verlag Frankfurt, 368 Seiten

Gut gesagt (14)

„‚Genau‘ scheint das neue ‚ähm‘ zu sein.“

Jutta Ditfurth

Bürgerrat, Bürgerbetreuer und Jubeljournalisten

In der Sowjetunion gab es Versammlungen in den Betrieben, in denen die Beschlüsse der Staatspartei von den Arbeitern bestätigt werden sollten. Damit dann die Staatsmedien berichten konnten, wie einig sich Volk und Partei seien. Stets forderten die Versammelten, dass die Beschlüsse der Partei konsequent umgesetzt werden sollten.

Solche offensichtlich pseudodemokratischen Rituale gibt es in freiheitlichen Ländern nicht – dachte ich bisher. Seit ich die Jubelberichte zum Bürgerrat Klima gelesen habe, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Der Bürgerrat Klima sei eine ganz famose Sache erfuhr ich in Medienberichten. Endlich höre die Politik den Bürgern zu.

Vom 26. April bis 23. Juni tagte der Bürgerrat Klima. 160 Menschen, zufällig ausgewählt aus ganz Deutschland, haben über 50 Stunden lang über mögliche Maßnahmen zum Umgang mit der Klimakrise diskutiert, Vorträge gehört und Empfehlungen erarbeitet.

Dabei wurden sie von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft informiert. Das machte mich neugierig. Ich schaute mir die Website des Bürgerrats an und las die Ergebnisse der Diskussionen. 95 Prozent der Teilnehmer votierten unter anderem für Folgendes:

  • Deutschland soll als globales Vorbild für klimaneutrales Leben und Wirtschaften vorangehen.
  • Im Sinne des Gemeinwohls hat der Schutz des Planeten oberste Priorität, diesem müssen sich wirtschaftliche Interessen und Einzelinteressen unterordnen.
  • Klimaschutz ist ein Menschenrecht und muss ins Grundgesetz aufgenommen werden.

Schöner hätte es die Bundesregierung oder Fridays For Future auch nicht formulieren können. Nun wurde ich neugierig, woher sich die Bürger die Expertise für ihre Konferenz geholt hatten. Auf der Website kann man nachlesen, dass die Teilnehmer von 27 Kuratoren beraten wurden. Außerdem kamen zu jeder der zwölf Sitzungen Referenten, die teilweise mit den Kuratoren identisch waren, teilweise zusätzlich eingeladen wurden. Außerdem standen den Bürgern sechs Faktenchecker zur Seite. Kuratorinnen, Referenten und Checker kamen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dem Öko-Institut Freiburg, dem Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung, Scientists for Future, dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, dem Deutsches Klima-Konsortium und ähnlichen Instituten. Professor Claudia Kemfert gehörte ebenso dazu wie Professor Harald Welzer. Zur Einführung ins Thema referierte Professor Stefan Rahmstorf. Somit die komplette Seilschaft der Weltuntergangspropheten.

Kein Medium hielt es für nötig, die geistige Monokultur und das manipulative Konzept dieser Veranstaltung zu thematisieren.

PS: Wie weit der Einfluss des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung geht, wurde auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 deutlich, welches die Regierung zu einer forcierten Klimapolitik verpflichtet. Das Gericht erklärte, dass die dramatischen Prognosen, auf denen sein Urteil basiert, unter anderem aus einem populärwissenschaftlichen Buch von Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber stammen.

 

Die verdrängten Bio-Toten

Vor ein paar Tagen suchte ich im Internet aktuelle Artikel, die auf den Atomunfall von Fukushima vor zehn Jahren zurückblicken. Google bot mir Tausende an. Danach bemühte ich mich, Medienberichte über die Masseninfektion durch EHEC-Bakterien im Jahr 2011 zu finden. Etwa ein Dutzend konnte ich entdecken. Wie erklärt sich diese sehr unterschiedliche Wahrnehmung? Nach dem Unfall im japanischen Atomkraftwerk wurden laut dem Wissenschaftlichen Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen atomarer Strahlung (UNSCEAR) keine strahlungsbedingten Todesfälle oder akuten Erkrankungen beobachtet. In Deutschland führte die 9.000 Kilometer entfernte Havarie zu keinerlei gesundheitlichen Folgen. Die EHEC-Verseuchung war die größte Lebensmittelkatastrophe seit Bestehen der Bundesrepublik. 53 Menschen starben, 4.000 erkrankten, darunter mehr als 800 mit der besonders schweren Verlaufsform HUS (Hämolytisch-Urämisches Syndrom). Ursache waren Bio-Salatsprossen. Daran mag sich fast keiner erinnern. Denn in Deutschland weiß man, Atomkraft ist gefährlich und Biokost ist gesund. Als am 22. Juni 2021 Agrarministerin Klöckner das zwanzigjährige Jubiläum des staatlichen Bio-Siegels feierte, wurde die Katastrophe von 2011 nicht erwähnt.

Gut gesagt (13)

„Gesunder Skeptizismus ist die Basis jeder genauen Beobachtung.“

Arthur Conan Doyle

Rettet die verfolgten Klimaforscher!

Auf dem Parteitag der Grünen blickte die prominente Publizistin Carolin Emcke in die Zukunft. „Die Bereitschaft zu Ressentiment und Gewalt wird bleiben,“ prophezeite sie. Die Leidtragenden würden künftig jedoch nicht Juden sein, sondern Klimaforscherinnen. Emckes düstere Vorhersage steht in einer langen Reihe von Bemühungen, alle möglichen Gruppen zu verfolgten Minderheiten zu erklären. Mal liest man, die Muslimen würden im heutigen Deutschland so diskriminiert, wie einst die Juden im NS-Staat. Mal ist es die sogenannte Querdenken-Bewegung, die sich selbst mit den Opfern der Shoa gleichsetzt und deren Anhänger sich gelbe Sterne an die Heldenbrust kleben. Dass solche Versuche Opferstatus zu erlangen komplett realitätsfern sind und millionenfachen Mord an wehrlosen Zivilisten verharmlosen, wurde schon bald nach Emckes Vortrag vielfach und zu Recht kritisiert.

Der Satz über die angeblich von „Ressentiment und Gewalt“ bedrohten Klimaforscher ist jedoch noch in zweiter Hinsicht falsch. Denn die von Frau Emcke ausgemachte Opfergruppe ist das genaue Gegenteil einer verfolgten Minderheit. Klimaforscher sonnen sich seit Jahrzehnten im Glanz allgemeiner Aufmerksamkeit und Bewunderung. Ihre Institute werden mit Geld überschüttet. Zumindest gilt das für den Teil der Klimaforscher, der die Gesellschaft mit populären apokalyptischen Prognosen versorgt. Wer heute als Wissenschaftler eine Karriere anstrebt, macht am besten irgendwas mit Klima. Die Industrien, die von der Energiewende profitieren, geht es prächtig. Ob Siemens oder BMW, Papst oder Popstar: Alle wollen das Klima retten. Damit auch die Kleinsten beim Klimaretten mitmachen, gab es eine Zeitlang sogar Schulfrei an Freitagen. Wo die Parallele zwischen dem heutigen gesellschaftlichen Status von Klimaforschern und der Judenverfolgung liegt, bleibt wohl Frau Emckes Geheimnis.

Allerdings gab es in den vergangenen Jahren in Deutschland Fälle, wo Kritiker der Klimapolitik abgestraft wurden, indem sie ihre Jobs verloren oder von Staatsorganen denunziert wurden. Diese scheint Frau Emcke aber nicht zu meinen

Pflege und Ausbau eines anerkannten Opferstatus ist Ziel aller Lobbyisten. Jeder Rechtsanwalt erklärt seinen Mandanten zum Opfer der Gesellschaft. Das Werk von Terroristen oder Amokläufern wird reflexhaft als „Hilfeschrei“ eines Erniedrigten und Beleidigten interpretiert. Eine beliebte Phrase von Nahost-Kommentatoren lautet, die Palästinenser seien Opfer der Opfer. Demnach sind diskriminierte palästinensische Frauen Opfer der Opfer der Opfer. Wer keinen Opferstatus erobert, macht etwas falsch und wird es zu nichts bringen. Die Armen sind Hartz-IV-Opfer, die Reichen Opfer einer unfairen Neiddebatte. Industrie und Landwirtschaft sind Globalisierungsopfer und wer nicht hierzulande geboren wurde, ist automatisch Diskriminierungsopfer. Und wir alle sind Opfer unserer Erziehung.

Wer Erfolg haben will, macht sich klein und erregt Mitleid. Das haben auch die Mächtigen und Privilegierten entdeckt, die längst nicht mehr mit ihren Insignien protzen, sondern sich als Verfolgte präsentieren. Wladimir Putin barmt, dass die imperialistische NATO ihn umzingeln und bedrohen würde. Donald Trump stellte sich selbst gern als Opfer linker Medienmacht dar. Ob AfD oder ADAC, ob Bischof oder Konzernboss, alle sind sie Opfer von Irgendwem und bitten uns um Hilfe.

Im Gegensatz zum umfassenden Opferkult berichten Menschen, denen tatsächlich Furchtbares widerfuhr, oftmals, dass kaum einer etwas von ihrem Schicksal hören wollte. So erging es vielen KZ-Überlebenden in den ersten zwanzig Jahren nach 1945. Und heute müssen sich DDR-Bürgerrechtler anhören, dass sie nervig und nachtragend sind. Auch Opfer von krimineller Gewalt kennen dieses Phänomen, sofern ihr Schicksal nicht in Raster einer aktiven Lobby-Gruppe passt.

Gesinnungswandel

Kürzlich habe ich gelesen, dass Robespierre ein entschiedener Gegner der Todesstrafe war, bevor er Tausende hinrichten ließ. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Volatilität von Grundsätzen und Standpunkten. Was ja im Grunde nichts Verwerfliches ist, denn Gesinnung kann sich ja auch zum Guten wandeln. „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden,“ lautet ein berühmtes Adenauer-Zitat. Eine Erkenntnis, die insbesondere denen fehlt, die sich mit ihrem Gesinnungsdünkel allen anderen moralisch überlegen fühlen.